„Gewisser Sättigungsgrad erreicht“

Wer stillt in Zukunft bloß Chinas Hunger? Die Antwort ist recht einfach: China selbst.

Düsseldorf. Am 12. Mai lag China am Boden. Das verheerende Erdbeben in der Provinz Sichuan kostete mindestens 70000 Menschen das Leben. Zur menschlichen Tragödie kamen die Folgen für die Landwirtschaft im Südwesten des Riesenreiches. Mehr als drei Millionen Schweine raffte der Erdstoß der Stärke 7,8 dahin, Lagerhäuser stürzten ein, ein guter Teil der Reisernte sowie zahlreiche Landmaschinen wurden zerstört.

Auf rund 3,8Milliarden Euro schätzen Volkswirte den Schaden. "Es wird wahrscheinlich drei bis fünf Jahre dauern, um die Landwirtschaft der Provinz aufzubauen", prognostiziert Rajendra Aryal von der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) in Rom.

Sogleich werden in der westlichen Welt Horrorszenarien gezeichnet: Chinas Hunger kann nicht mehr gestillt werden. Das Verlangen von 1,3Milliarden Menschen nach Reis, Getreide und Fleisch lässt die Preise auf dem globalen Markt in die Höhe schnellen und die Regale in unseren Supermärkten leer werden.

Diese Furcht artikuliert sich spätestens seit den späten 1980ern in Europa und Amerika in regelmäßigen Abständen. Kurzfristig betrachtet, gibt es jedoch schon Entwarnung: Dank zuletzt reicher Erntejahre sind die chinesischen Vorratsspeicher mit so viel Getreide gefüllt, dass es für ein Drittel des Jahres reicht; bei Reis sieht es nicht schlechter aus.

Auch auf lange Sicht wird der Westen nicht darben müssen. Josef Schmidhuber, Chef-Volkswirt der FAO, sagt: "Ein gewisser Sättigungsgrad" in China sei erreicht. Auch das Bevölkerungswachstum gebe keinen Anlass zur Sorge: "Das nimmt tatsächlich drastisch ab", so Schmidhuber. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass die Zahl der Chinesen von heute 1,3 Milliarden bis 2028 lediglich auf 1,4Milliarden steigen und danach sogar fallen werde.

Der Einfluss Chinas auf die Weltmarktpreise im Nahrungsmittelsektor ist ebenfalls gering. Denn das Land deckt seinen üppigen Bedarf weitgehend selbst. Premierminister Wen Jiabao versicherte erst kürzlich, er halte an dem Ziel fest, dass mindestens 95 Prozent der verbrauchten Agrarprodukte aus eigenem Anbau stammen. Und das ist wahrlich eine Mammutaufgabe: Schließlich muss China auf neun Prozent der Weltackerflächen 22 Prozent der Weltbevölkerung ernähren.

Das wird nicht einfacher in einem Land, in dem sich das Verhältnis der Land- zur Stadtbevölkerung von 60 zu 40 in den kommenden 20 Jahren umkehren soll, und in dem der Wohlstand und damit der Lebensstandard wächst. Als Anreiz für die Bauern wurden darum bereits Agrarsteuern abgeschafft, die Ankaufspreise erhöht und Verbote erlassen, Felder in Bauland zu verwandeln. 2008 investiert der Staat mit knapp 50 Milliarden Euro fast 25 Prozent mehr als im Vorjahr.

Der wesentliche Faktor aber ist die Zollpolitik Pekings. Trotz einiger Senkungen in den vergangenen fünf Jahren erhebt China immer noch hohe Importzölle auf Nahrungsmittel und plant nun auch, Exportzölle zum Beispiel für Getreide einzuführen.

Tatsächlich ist China in vielen Bereichen Netto-Exporteur: Seit 1996 z.B. ist die Handelsbilanz auf dem Getreidesektor - bis auf das Jahr 2006 - positiv. Im vergangenen Jahr führte China rund drei Millionen Tonnen mehr aus als ein - vor allem in Länder des asiatischen Kontinents, aber auch nach Japan und in die USA. Nur Sojabohnen muss China im großen Stil - insbesondere aus USA - importieren.

An dem Prinzip der Selbstversorgung rütteln auch veränderte Essgewohnheiten nicht. Die Chinesen haben im Laufe der vergangenen 20 Jahre zunehmend Appetit auf Fleisch bekommen, gerade in den großen Metropolen. Verspeiste der Durchschnitts-Bewohner von Schanghai 1988 noch etwa 22,4 Kilo Fleisch, verdoppelte sich der Verbrauch in zehn Jahren auf 45,8 Kilo, 2007 lag er bei über 55 Kilo. Laut OECD-Statistiken ist China inzwischen für 40 Prozent des weltweiten Fleischkonsums verantwortlich.

Der werde in den nächsten Jahren "moderat weiter steigen", so Josef Schmidhuber. Der Anteil an der Weltproduktion liegt allerdings auch bei gut der Hälfte. Ähnlich sieht es beim Milchkonsum aus: Die Zahl der Kühe stieg seit Mitte der 1980er parallel zur gestiegenenen Nachfrage nach Vollmilch, Joghurt und Schokolade.

Wenn damit jemand ein Problem hat, dann sind das Chinesen selbst. Das Gesundheitsministerium zählte schon 2002 rund 60Millionen fettleibige Menschen - so viele wie in ganz Großbritannien oder Frankreich leben. Weitere 200Millionen galten in der damaligen Studie als übergewichtig.

Statt einer Schale Reis nehmen besonders die Stadtbewohner in der Mittagspause lieber Burger und Pommes zu sich. Das freut lediglich die Fast-Food-Ketten: Es gibt mittlerweile landesweit etwa 875 McDonald’s-Filialen, jährlich werden es hundert mehr. Yum Brands mit seinen Marken Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut ist sogar rund 1500 Mal vertreten. Der Schaden für das Gesundheitswesen dürfte weit über dem liegen, den das Erdbeben ausgelöst hat.