Analyse: Wolfgang Böhmer und der CDU-Sündenfall
Was passiert, wenn ein Ministerpräsident der Union öffentlich über Koalitionen mit der Linken nachdenkt.
Magdeburg/Berlin. Sachsen-Anhalt zählt knapp zwei Millionen Einwohner. Damit leben in dem ostdeutschen Bundesland gerade einmal doppelt so viele Menschen wie in Köln. Kein Wunder, dass man Sachsen-Anhalt und seinen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer bundesweit eher selten wahrnimmt - jedenfalls war das bis vor kurzem so.
Denn nun hat sich der CDU-Politiker in gleich zwei Interviews zur Linkspartei geäußert. Die Linke betreibe eine "sehr intensive Basisarbeit", schmeichelte Böhmer überraschend den SED/PDS-Nachfolgern in einem Gespräch mit dem MDR.
Auch wenn das für ihn momentan kein Thema sei, so müssten doch alle demokratischen Parteien miteinander koalitionsfähig sein. Sonst, so der 72-Jährige im O-Ton, "schaffen wir die Demokratie ab". Die CDU-Führung im Berliner Konrad-Adenauer-Haus war nicht amüsiert.
Damit nicht genug. In einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel" legte Böhmer nach. "In Westdeutschland ist die Argumentationslinie gegenüber der Linkspartei heute noch so, wie sie bei uns in den frühen 90er Jahren war", kritisierte er.
Die Linkspartei sei aber "nicht mehr gleichzusetzen mit der SED". Bündnisse der CDU mit der Linkspartei auf Landesebene könne er sich "unter den gegenwärtigen Bedingungen" nicht vorstellen. Er wisse allerdings nicht, "was in 20 oder 30 Jahren sein wird".
Jetzt schäumten sie in der CDU-Parteizentrale. Seit Jahr und Tag predigt jeder, der in der Partei Reden halten und Interviews geben kann, dass die Linke 1) nicht demokratisch und damit 2) auch nicht koalitionsfähig sei. Und 3) - dies ist nun wahlkampftaktisch enorm wichtig - handele eine SPD, die auf Landesebene mit der Linken paktiere, unverantwortlich.
Es sei 4) nur noch eine Frage der Zeit, bis die Sozialdemokraten mit der Linkspartei auch im Bund gemeinsame Sache machten. Und nun kommt ein leibhaftiger CDU-Ministerpräsident und fällt der gesamten Union derart in den Rücken.
Kein Wunder, dass vor allem die Linke Böhmers vierfachen Tabubruch mit Wonne zur Kenntnis nahm. Parteichef Lothar Bisky reagierte sofort. Er freue sich über die Aussagen des milden Mannes aus Magdeburg, sagte er. Schließlich sei es Zeit, dass die "Hassprediger von der CDU" ihr "Ausgrenzungsgehabe" beendeten. Außerdem könne auch er, Bisky, sich ganz gut vorstellen, dass eines Tages die Linke mit der CDU...
Stille Freude herrscht derweil bei der SPD. Sollten ihr wieder einmal rot-rote Absichten unterstellt werden, muss sie nur noch ein paar schöne Böhmer-Zitate aus der Schublade ziehen.