Obama-Rede: „Viel Pathos, wenig Substanz“

Amerika staunt über den Jubel der Deutschen. Doch am Tag danach zeigt sich Ernüchterung: Was hat der Kandidat eigentlich gesagt?

Washington. In Amerika füllt er Sporthallen an High Schools, und auch unter freiem Himmel feiern ihn Menschenmassen. Aber: Ein Publikum wie auf der Fanmeile in Berlin hat Barack Obama noch nie erlebt, nicht ein Mal im eigenen Land. Dass 200000 Fans teilweise lange Reisen auf sich nahmen, um die halbstündige Rede des Kandidaten live mitzuerleben, stößt in den USA auf ein überwiegend positives Echo.

Lange Zeit hatten zuvor führende US-Fernsehanstalten gezögert, die Rede in voller Länge auszustrahlen. Schließlich war es ein reiner Wahlkampfauftritt für das amerikanische Publikum.

Dann waren Sender wie CNN doch an Bord und freuten sich ab 13 Uhr US-Ostküstenzeit über Einschaltquoten, die an einem frühen Nachmittag sonst undenkbar wären. Ob in Privatwohnungen, in Büros, Kaufhäusern oder Altersheimen, überall flimmerte das Gesicht des neuen Hoffnungsträgers der Demokraten über den Bildschirm, in der Ecke mit der Ortsmarke "Victory Column, Berlin, Germany".

Doch am "Tag danach" breitet sich in den USA eher so etwas wie Nüchternheit aus: Ziemlich viel Pathos und wenig Substanz habe der "große Kommunikator" an den Tag gelegt. Jüngste Umfragen warnen vor allzu großer "Obamania" - noch ist die Wahl lange nicht gelaufen. Im Gegenteil: Obamas Vorsprung vor John McCain schmilzt langsam dahin.

Denn viel versprochen hat der schwarze Politiker nicht gerade. Kampf dem Klimawandel, gegen Atomwaffen, transatlantisches Zusammenrücken - sonderlich visionär und mitreißend ist das bei Lichte gesehen nicht. "Eine Standardrede", kommentiert CNN-Anchorman Wolf Blitzer. Mögliche Konflikte - etwa der Wunsch nach deutschen Truppen auch im südafghanischen Kampfgebiet - wurden sorgsam ausgespart.

"Er sprach gefällig zu den Massen, ohne Konkretes zu sagen", kommentiert die "New York Times", die nebenbei kühl darauf hinweist, dass Obama in den vergangenen vier Jahren einmal in Europa war - bei einem Zwischenstopp in London auf dem Weg nach Russland. Die Botschaft des Blattes: Ganz so groß kann Obamas Interesse an Europa denn auch nicht sein.

Auf klare Ablehnung stößt zudem bei Experten und in der breiten Öffentlichkeit Obamas "Vision" einer Welt ohne Atomwaffen, nicht zuletzt weil dies die als sakrosankt geltende Nukleardoktrin der US-Armee verletzt. "Die Bemerkungen über eine atomwaffenfreie Welt waren zweifellos auf sein deutsches Publikum gemünzt", ist der Politologe Arthur Jansen überzeugt. "Obama ist sich der Ablehnung der Methoden der Bush-Regierung im Kampf gegen den Terror in Deutschland sehr wohl bewusst."

Jansen glaubt, Obamas "Vision" werde ein Traum bleiben. Schließlich hat das Pentagon die Nukleardoktrin erst vor drei Jahren deutlich verschärft. Demnach wollen die USA angesichts der Terrorgefahr "eine aggressive nukleare Haltung beziehen", auch behalten sich die USAausdrücklich "für präventive Zwecke" den atomaren Erstschlag vor, für den es bereits gegen Iran Pläne gibt. Diese Nukleardoktrin abzuschaffen, sei auch für einen demokratischen Präsidenten völlig unmöglich, so Jansen.