Frankreich und die schwarze Atom-Serie

Kernkraft: Angesichts immer neuer Störfälle wächst das Misstrauen in die Informationspolitik.

Paris. Die Zwischenfälle in französischen Atomkraftwerken reißen nicht ab. Und erneut steht die Anlage von Tricastin im Süden Frankreichs im Zentrum. Bei Wartungsarbeiten an einem zur Zeit stillgelegten Reaktorblock des Stromgiganten EDF seien 100Arbeiter durch radioaktiven Staub "leicht" kontaminiert worden, teilte Betriebsdirektor Alain Peckre mit. Die radioaktive Dosis, die die Betroffenen eingeatmet hätten, sei "unbedeutend". Eine Gefahr für die Umwelt habe nicht bestanden. Auf der Gefahrenskala, die von Null bis 7 reicht, wurde der Zwischenfall auf dem untersten Niveau eingestuft.

Rund 800 Zwischenfälle der Kategorie Null, die der Atomaufsicht normalerweise nicht gemeldet werden müssen, werden jährlich in französischen Kernkraftwerken registriert. Die Pannenserie - vier Zwischenfälle in nur 14Tagen - hat Frankreichs Öffentlichkeit, aber auch die Nachbarn in der Schweiz und Deutschland, aufgeschreckt. Erst vor zwei Wochen waren in der weltgrößten Nuklearanlage Tricastin bei Avignon 74 Kilo uranhaltige Flüssigkeit ungereinigt in die Flüsschen Gaffiere und Lauzon gespült worden. Der jüngste Zwischenfall ereignete sich rund 24 Stunden, nachdem die Präfekturen der beiden Departments Drome und Vaucluse die Beschränkungen, die Baden und Angeln, aber auch die Feldbewässerung entlang der beiden betroffenen Flüsse untersagten, wieder aufgehoben hatten.

In der vergangenen Woche war es zudem in einer Brennstäbefabrik bei Grenoble zu einem meldepflichtigen Vorfall gekommen. Dort war radioaktive Flüssigkeit aus einer brüchigen Leitung ausgetreten. Und ebenfalls vergangene Woche waren 15 Arbeiter in einer Atomanlage im Südosten Frankreichs bei Inspektionsarbeiten verstrahlt worden.

Frankreichs Umweltminister Jean-Louis Borloo verteidigte trotz der "schwarzen Serie" die Nuklearbranche. "Wir stellen die Atomkraft nicht in Frage, aber bestimmte Praktiken, etwa Reaktionszeiten und Transparenz." Das zielte auf die Betreiber von Tricastin, die den ersten Zwischenfall vor gut zwei Wochen nur mit stundenlanger Verzögerung bekannt gegeben hatten.

Die Atomkraftgegner im Bündnis "Sortir du nucleaire" verlangten unterdessen eine nationale Debatte über die Zukunft der Kernkraft. Die wird es aber nicht geben. Die Franzosen fürchten sich laut jüngsten Umfragen weit mehr vor den Risiken der Klimaerwärmung als vor den Gefahren der Kernkraft. Im Energiemix schreiben sie der Atomkraft auch weiterhin eine wichtige Rolle zu.

Zunehmend wächst aber das Misstrauen in die Informationspolitik von Betreibern und Behörden. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will den Ausbau der atomaren Stromerzeugung aber noch forcieren. Erst vor kurzem hatte er angekündigt, dass Frankreich einen neuen Druckwasserreaktor bauen wolle.