Atomausstiegsplan von Schwarz-Gelb unter Beschuss
Berlin (dpa) - Die Konzerne wollen klagen, die Grünen und Umweltverbände sehen große Mängel in der Architektur des Atomausstiegs. Die Bundesregierung gibt sich gelassen und wehrt sich gegen Vorhaltungen, der rot-grüne Atomausstieg sei das weit bessere und sicherere Modell gewesen.
Die Regierung will sich durch Klagen der Konzerne und Vorwürfe der Grünen nicht von ihrem Atomausstiegsplan abbringen lassen. Das ganze Energiepaket solle am Montag im Kabinett verabschiedet werden, betonte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans am Mittwoch in Berlin. Anders als beim rot-grünen Ausstiegsplan gebe es mit spätestens 2022 ein definitives Enddatum.
Zur Klage des Energieriesen Eon gegen die Brennelementesteuer betonte die Regierung, jedem stünde es frei, seine Rechtsauffassung deutlich zu machen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wird auch der Essener Energieversorger RWE in Kürze über eine Klage gegen die Atomsteuer entscheiden. Bei noch neun AKW wären rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr zu zahlen - etwa 150 Millionen Euro pro AKW. Die Regierung betont, die Konzerne würden damit auch an den Kosten für die Sanierung des maroden Atommülllagers Asse beteiligt.
Durch die laut Gesetzentwurf mögliche Reststrommengenübertragung von alten auf neue Atomkraftwerke könnten die verbleibenden neun AKW allesamt erst 2021 oder 2022 abgeschaltet werden. Die Sprecherin von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) machte klar, dass man den Konzernen damit nicht längere Laufzeiten schenke, als beim rot-grünen Ausstieg vor zehn Jahren geplant: „Das ist Unsinn“, sagte sie.
Eine Studie des Öko-Instituts sieht erhebliche Gefahren für das Netz, da in kurzer Zeit plötzlich große Stromkapazitäten wegfallen. „Im Ergebnis müssten in 2020/2021 innerhalb von nur 12 Monaten fast alle länger betriebenen Anlagen - mit einer Leistung von 10 800 MW - vom Netz gehen“, heißt es in der Studie, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
„Dies würde mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche energiewirtschaftliche und netztechnische Probleme mit sich bringen und das endgültige Ausstiegsdatum 2021 gefährden“, heißt es.
Der Grund liegt in der Übertragung von Strommengen, die noch produziert werden dürfen, von den acht abgeschalteten Anlagen auf die neun verbleibenden AKW. Dies sind in der Summe zwar nur einige Jahre, hinzu kommen aber zwei Sonderfälle: Das AKW Krümmel und das AKW Mülheim-Kärlich (1988 nach kurzem Betrieb wegen einer fehlerhaften Genehmigung wieder vom Netz gegangen) verfügen noch über Strommengen von insgesamt bis zu 18 Jahren - auch diese dürfen übertragen werden.
Die Grünen fordern, dass auf die Reststrommengen-Übertragung von abgeschalteten auf noch laufende Meiler verzichtet wird. Im Atomgesetz von Rot-Grün war 2002 - basierend auf der Konsens- Vereinbarung mit den Konzernen von 2001 - festgelegt worden, dass die Meiler Stück für Stück und nicht geballt zum Ende vom Netz gehen, um Gefahren für Netz und die Versorgung zu minimieren.
Zudem birgt die ganze Konstruktion hohe rechtliche Risiken. Denn die Konzerne könnten dagegen klagen, wenn sechs Meiler bis 2021 und drei bis Ende 2022 abgeschaltet werden und diese eventuell noch über zu produzierende Strommengen verfügen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht in der Konstruktion eine „Laufzeitgarantie für Atomkraftwerke“, Fraktionsvize Bärbel Höhn sieht das ganze als Knackpunkt für eine Zustimmung der Grünen zu den Ausstiegsplänen.
Zudem ist es noch unklar, ob die Konzerne nach Auslaufen des nach dem GAU in Fukushima verhängten Moratoriums am 15. Juni die acht abgeschalteten AKW wieder anfahren werden. Denn laut des Entwurfs für das am Montag zu beschließende Atomgesetz können die Anlagen erst mit Inkrafttreten des Gesetzes stillgelegt werden. Da sich pro Tag abzüglich der Atomsteuer bis zu 600 000 Euro pro AKW verdienen lassen, ziehen die Konzerne diese Option durchaus in Betracht, zumal das Gesetz erst nach der Sommerpause Inkrafttreten könnte. Die Regierung wies solche Pläne als Spekulation zurück.
Die Umweltorganisationen Greenpeace und WWF kritisieren wie auch die Grünen die Abschaltwelle erst ganz zum Schluss. Der WWF forderte die Regierung auf, die neun verbliebenen AKW stufenweise vom Netz zu nehmen, um Probleme zu vermeiden. Tobias Münchmeyer von Greenpeace betonte: „Das, was Merkel als historisches Projekt präsentiert, entpuppt sich als Mogelpackung. Die schwarz-gelben Pläne liegen deutlich hinter dem rot-grünen Atomausstieg.“ Merkel ignoriere die Empfehlungen der Ethikkommission zum Atomausstieg, die sich für eine schrittweise Abschaltung der Meiler ausgesprochen hatte.