Bahn darf Stuttgart 21 trotz Kostenexplosion weiterbauen
Berlin/Stuttgart (dpa) - Die Deutsche Bahn kann das umstrittene Projekt Stuttgart 21 trotz explodierender Kosten weiterbauen, will die zusätzlichen Milliarden aber nicht allein tragen.
Konzernchef Rüdiger Grube kündigte am Dienstag Verhandlungen mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart über eine Aufteilung von zwei Milliarden Euro erwarteter Zusatzkosten an. Zuvor hatte der Bahn- Aufsichtsrat eine Erhöhung des Finanzrahmens für den umstrittenen Bahnhofsumbau im Südwesten um diese Summe auf 6,5 Milliarden Euro gebilligt. Gegner des Projekts kritisierten die Entscheidung scharf.
Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart lehnten die Forderung der Bahn erneut strikt ab. „Die Bahn muss alle Mehrkosten tragen, da sie Bauherrin ist. Es ist Aufgabe der Bahn und des Bundes und nicht des Landes, funktionierende Bahnhöfe zu bauen“, erklärten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Vize Nils Schmid (SPD). Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sagte: „Die Stadt wird nicht mehr Geld zahlen, als bisher vorgesehen ist.“
Das Kontrollgremium des bundeseigenen Konzerns stimmte den neuen Kostenplanungen mit deutlicher Mehrheit zu. Laut Aufsichtsratskreisen votierten in der Sondersitzung 18 der 20 Mitglieder dafür, es gab eine Nein-Stimme und eine Enthaltung. Die Bahn hatte im Dezember mitgeteilt, dass der bisherige Finanzrahmen von 4,5 Milliarden Euro nicht zu halten sei.
„Aus Sicht des Aufsichtsrates hat der Vorstand plausibel dargelegt und in kritischen Diskussionen bestätigt, dass die Fortführung des Projektes für die DB wirtschaftlich vorteilhafter als ein Abbruch ist“, hieß es in der Mitteilung nach der Sitzung. In den zusätzlichen zwei Milliarden Euro für den Finanzierungsrahmen seien „bereits ermittelte und weitere mögliche Mehrkosten enthalten“.
Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht sagte, er freue sich, dass die „Zeit der Unsicherheit“ vorbei sei „und wir jetzt in Ruhe konzentriert weiterarbeiten können“. Das Kontrollgremium habe sich ein umfassendes Bild über den Stand des Projektes verschafft und auch unabhängige Testate zweier Wirtschaftsprüfer eingeholt.
Grube sagte, er hoffe, dass eine Verständigung mit Stadt und Land ohne eine bereits angedrohte Klage zu erreichen sei. Der Aufsichtsrat stellte sich hinter diese Linie, „eine Beteiligung der Projektpartner an den Mehrkosten einzufordern und dies notfalls auch gerichtlich durchzusetzen“. Der Bahnchef erläuterte, bisher entfielen 40 Prozent des Gesamtvolumens auf die Bahn, auf die anderen Partner 60 Prozent. „Das ist sicherlich auch der Schlüssel, mit dem man in die Verhandlungen geht.“ Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) mahnte ebenfalls eine Beteiligung an.
Der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und Aufsichtsrats-Vize Alexander Kirchner nannte das Votum des Gremiums eine „Vernunftsentscheidung“. Er betonte, dass die Mehrkosten nicht zulasten der Bahn-Mitarbeiter gehen dürften. Grube versicherte, ein Personalabbau sei nicht geplant. Die Bahn kündigte an, Stuttgart 21 in eine Projekttochter auszugliedern, um mehr Effizienz zu sichern. Infrastruktur-Vorstand Volker Kefer sagte, operativ werde weiter 2021 als Eröffnungsjahr angestrebt. Angesichts von Risiken könne es aber auch 2022 werden.
Grüne und Linke im Bundestag kritisierten die Entscheidung. „Der Beschluss ist ein Skandal“, sagte der Verkehrsausschuss-Vorsitzende, Anton Hofreiter (Grüne). „Die Kostenrisiken wurden kleingerechnet und die Ausstiegskosten zu hoch angesetzt.“ Linke-Chef Bernd Riexinger sagte: Das ist ein schwarzer Tag für Stuttgart und für die Steuerzahler.“ Eine Ausstiegsoption müsse auf dem Tisch bleiben. FDP- Bundesvize Birgit Homburger sagte dagegen: „Jetzt gilt: Bauen nicht schwätzen.“ Die grün-rote Landesregierung müsse jetzt handeln.
Vor der Entscheidung des Aufsichtsrats war der Streit in der grün-roten Landesregierung eskaliert. Grund war ein Angebot von Kretschmann an den Aufsichtsrat der Bahn, über Alternativen zu dem Tiefbahnhof zu verhandeln. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel nannte dies einen „beispiellosen Affront“, weil Kretschmann damit die gemeinsame Linie verlasse, keine Ausstiegsgespräche zu führen.