Gegenseitige Vorwürfe Fronten im Unionsstreit verhärten sich vor EU-Asyltreffen
Berlin/Brüssel (dpa) - Vor dem Migrationsgipfel in Brüssel verschärfen CDU und CSU den Ton im Asylstreit. Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther warf der CSU vor, sie wolle die gesamte Union auf einen antieuropäischen Rechtskurs zwingen.
Das könne die CDU nicht dulden, sagte er im Deutschlandfunk. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schloss ein Scheitern des Bündnisses der Schwesterparteien nicht aus: „Ob wir bei Haltung und Handlung jetzt eine gemeinsame Linie finden können, ist im Moment noch offen“, sagte er dem „Spiegel“. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel rief zu Sacharbeit auf.
Die CSU will Asylbewerber an der deutschen Grenze abweisen, wenn diese bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Die CSU-Spitze hat Merkel bis Ende dieses Monats Zeit gegeben, die von ihr favorisierte europäische Lösung mit bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen zu erreichen.
Andernfalls will CSU-Chef Horst Seehofer als Innenminister gegen Merkels Willen im nationalen Alleingang eine Abweisung an den Grenzen anordnen - ein Schritt, der zum Bruch des Unionsbündnisses und damit der Koalition führen könnte.
An einem informellen Arbeitstreffen an diesem Sonntag in Brüssel, zu dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geladen hat, wollen 16 EU-Staaten teilnehmen. Eine Abschlusserklärung ist der Bundesregierung zufolge nicht geplant. Ein EU-Gipfel ist für den 28. und 29. Juni anberaumt. Die CSU werde unmittelbar danach über das weitere Vorgehen entscheiden, sagte Dobrindt dem „Spiegel“. Nach dpa-Informationen aus Parteikreisen hat Seehofer für den 1. Juli zu einer Vorstandssitzung geladen.
Im Oktober ist in Bayern Landtagswahl. Der CSU droht der Verlust der absoluten Mehrheit. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schrieb in einem Gastbeitrag für die „Welt“, es habe sich rechts neben der Union eine neue Kraft legimitiert. Um die AfD bekämpfen zu können, müssten CDU und CSU die Kraft finden, „ein dauerhaftes Angebot an diejenigen zu machen, die verunsichert sind, sich einen starken Staat wünschen, Schutz für Europa wollen und denen der Erhalt der eigenen kulturellen Identität am Herzen liegt“.
Bei der SPD sorgt das Zerwürfnis des Koalitionspartners für Unmut. Sie sei „nicht bereit, diese Mätzchen noch weiter mitzumachen“, hatte Parteichefin Andrea Nahles in der ARD gesagt.
Angesichts der Koalitionskrise sprachen sich in einer YouGov-Umfrage 43 Prozent der Befragten dafür aus, dass Merkel zurücktritt und ihr Amt an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergibt. Mit 42 Prozent wünschen sich etwa genauso viele Befragte, dass die CDU-Vorsitzende Kanzlerin bleibt, 15 Prozent machten keine Angaben.
Merkel besuchte am Freitag den Libanon und sagte Regierungschef Saad Hariri weitere Unterstützung zu. Der Libanon hat 4,5 Millionen Einwohner und nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR fast eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien aufgenommen.
Zuvor hatte Merkel Jordanien besucht. Mit einer Verbesserung der Lage der syrischen Migranten in der Region will sie erreichen, dass sie sich nicht in Richtung Europa aufmachen. Auf die Frage, ob sie an den Fortbestand der großen Koalition glaube, sagte Merkel, sie „arbeite dafür, dass die Koalition ihre Aufgaben, die sie sich im Koalitionsvertrag gestellt hat, auch erfüllen kann“.
Merkel hatte der CSU im Asylstreit mit ihrer Richtlinienkompetenz gedroht. Das Grundgesetz gibt der Kanzlerin das Recht, Richtlinien der Politik verbindlich festzulegen. Seehofer warnte Merkel in der „Passauer Neuen Presse“: „Wenn man mit dieser Begründung einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung.“ Er sei Parteichef und habe deren volle Rückendeckung. „Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden.“
Die von Seehofer geplante Zurückweisung von Flüchtlingen ist einer von 63 Punkten aus seinem noch unveröffentlichten sogenannten Masterplan zur Asylpolitik. „Die Bundeskanzlerin hat mit 62 1/2 von 63 Punkten kein Problem. Bei dem ausstehenden halben Punkt wird aus einer Mickey Maus ein Monster gemacht“, klagte Seehofer.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz rechnet mit europaweiten Folgen, wenn Deutschland Flüchtlinge zurückweisen sollte. „Ein kurzfristiges Intensivieren der Kontrollen an den EU-Grenzen kann einen Domino-Effekt auslösen, der illegale Migration abschreckt, weil man dann eben nicht einfach so weiter bis Deutschland, Österreich oder Schweden reisen kann“, sagte er der „Bild“.
Italiens Innenminister Matteo Salvini warnte, die Zukunft der EU stehe auf dem Spiel. „Innerhalb eines Jahres wird sich entscheiden, ob es das vereinte Europa noch gibt oder nicht mehr“, sagte er dem „Spiegel“. Merkels Ziel bilateraler Vereinbarungen erteilte er eine Absage: „Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen.“ Über Italien kommen besonders viele Flüchtlinge nach Europa.