Koalitionsfraktionen wollen zurück zu konstruktiver Arbeit
Königswinter (dpa) - Nach den Anfangsturbulenzen will die schwarz-rote Koalition mit mehreren Gesetzesinitiativen zur konstruktiven Regierungsarbeit zurückfinden. Union und SPD wollen den Verbraucherschutz bei Finanzprodukten verbessern, zur Tarifeinheit zurückkehren und den Umgang mit Sterbehilfe klären.
Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte nach einer zweitägigen Klausur der Spitzen beider Koalitionsfraktionen auf dem Petersberg bei Bonn: „Wenn man an die Diskussionen in unserer Koalition so in den letzten Wochen zurückdenkt, waren wir selber überrascht, wie gut und schnell wir zu Ergebnissen gekommen sind.“
Die Koalitionäre möchten den finanziellen Verbraucherschutz bei der Bankenaufsicht BaFin gesetzlich verankern. Auf dem bisher weitgehend unregulierten „Grauen Kapitalmarkt“ wollen sie durch deutliche Warnhinweise vor allem den Schutz von Kleinanlegern stärken, wie SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann erläuterte. Er und Kauder zeigten sich entschlossen, bei der Rente mit 63 Tendenzen zur Frühverrentung entgegenzuwirken.
Die Koalitionspolitiker bekräftigten außerdem, die Tarifeinheit in größeren Betrieben gesetzlich zu regeln. Mit dem Vorhaben soll der Zersplitterung in immer kleinere Spartengewerkschaften entgegengewirkt werden. An dem Treffen hatten auch die Spitzen des Arbeitgeberverbandes BDA und des Gewerkschaftsdachverbandes DGB teilgenommen.
Kauder und Oppermann machten aber auch deutlich, dass in absehbarer Zeit kein Abbau der sogenannten Kalten Progression bei der Einkommensteuer mehr zu erwarten sei. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, erinnerte daran, dass ein Entwurf der schwarz-gelben Vorgängerregierung am Widerstand der Länder gescheitert sei.
Eine Entscheidung über das Thema Sterbehilfe soll jedem Abgeordneten überlassen bleiben. Allerdings solle es im Parlament eine umfassende Auseinandersetzung mit den ethischen und rechtlichen Fragen geben. Zudem sollen Hospize und die Versorgung von Sterbenskranken weiter ausgebaut werden. „Sterben darf nicht im Verborgenen ... stattfinden“, heißt es in einem entsprechenden Papier. Zudem stellten die Koalitionäre angesichts befürchteter unzureichender Behandlungen psychisch Kranker das Bezahlsystem für psychiatrische Kliniken infrage.
Die Mehrwertsteuer für Hörbücher soll vom regulären Satz von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden. Zudem solle auf europäischer Ebene darauf hingewirkt werden, dass der ermäßigte Satz auch auf E-Books, E-Papers und andere elektronische Informationsmedien angewendet werden kann. „Aufgrund der rasant voranschreitenden Digitalisierung dringen wir auf eine zügige Umsetzung dieser vereinbarten Punkte“, hieß es.
Bei Kauder und Hasselfeldt kam erneut Unmut wegen der Umarmung von SPD-Altkanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Wladimir Putin auf. „Nach dem jetzigen Stand kann ich es nicht als hilfreich betrachten“, sagte Kauder. Vermutlich sei auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) davon nicht begeistert.
Oppermann nahm den Altkanzler in Schutz. Er wisse nicht, was Schröder bei der privaten Begegnung mit Putin am Vorabend gesagt habe. „Aber ich bin ganz sicher, dass er dem russischen Präsidenten klargemacht hat, dass er aktiv etwas dafür tun muss, dass die Geiseln freigelassen werden.“ Im Osten der Ukraine halten Separatisten ein Team von westlichen Militärbeobachtern fest, darunter vier Deutsche. Das Foto war bei einem Treffen am Montagabend in St. Petersburg entstanden, wo Schröders 70. Geburtstag nachgefeiert wurde.
Ungeachtet dieses Dissenses sprachen Kauder wie Hasselfeldt und auch Oppermann von einem sehr guten Klima während der zweitägigen Klausur, bei der am ersten Tag auch EZB-Chef Mario Draghi zu Gast war. Es gehe darum, offen und vertrauensvoll miteinander umzugehen, sagte Oppermann. Grundsätzlich aber sei Schwarz-Rot eine „Arbeitskoalition“, die an ihren Ergebnissen gemessen werde. Und die bisherige Arbeit der Regierung könne sich durchaus sehen lassen.
Oppermann war in der Affäre um den früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy in die Kritik geraten. Vor allem die CSU machte ihn für den Rücktritt des damaligen Ministers Hans-Peter Friedrich (CSU) verantwortlich. Gegen Edathy wird wegen des Verdachts auf Besitz von kinderpornografischem Material ermittelt. Kauder sagte nun in Königswinter, er habe Oppermann am Sonntag in Göttingen persönlich die Glückwünsche der Unionsfraktion zum 60. Geburtstag überbracht.