Kuhhandel im Richterzimmer
Verfassungsgericht entscheidet über sogenannte Deals.
Karlsruhe. Es klingt fast wie eine Art Erpressung, die sich auf dem Flur des Landgerichts Berlin zugetragen haben soll: In einer Verhandlungspause tritt der Vorsitzende Richter auf den Flur und macht zwei Angeklagten ein Angebot: Wenn sie die vorgeworfene Tat sofort gestehen, könnten sie mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren rechnen. Andernfalls drohten ihnen vier Jahre Haft. Sie müssten sich schnell entscheiden. So schildert es eine beteiligte Anwältin in einer eidesstattlichen Versicherung.
Im konkreten Fall wird zwei jungen Polizeibeamten vorgeworfen, sie hätten einem vietnamesischen Händler Schwarzmarkt-Zigaretten abgenommen, um sie für sich selbst zu behalten. Ein ernster Vorwurf, der als schwerer Raub bestraft werden könnte — denn die beiden hatten ihre Dienstwaffen dabei.
Und so ging der Berliner Fall aus: Laut Protokoll wird die Verhandlung um 10.50 Uhr fortgesetzt, zehn Minuten später haben die Beamten gestanden, ohne ins Detail zu gehen. Sie bestätigen nur, dass das, was in der Anklage stehe, so richtig sei.
Die anwesenden Zeugen werden nicht mehr angehört. Ein kurzer Prozess, zwei Jahre auf Bewährung und damit auch der Verlust der Beamtenstellung für die beiden Familienväter. Ein faires Urteil?
Beide Angeklagten haben ihre Geständnisse inzwischen widerrufen. Sie seien unter Druck gesetzt worden, sagen sie. Die Drohung mit der langen Strafe habe sie dazu bewegt, etwas zu gestehen, das sie nicht getan hätten. Am Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht über den Fall — und darüber, ob und unter welchen Bedingungen Absprachen in Strafprozessen zulässig sind.
Drei Verfassungsbeschwerden liegen den Richtern des Zweiten Senats vor, in allen Fällen wurden Angeklagte nach einem sogenannten Deal verurteilt, und in allen Fällen fühlen sie sich im Nachhinein ungerecht behandelt.
In der Theorie ist die Wahrheit im Strafprozess ebenso wenig verhandelbar wie der Strafanspruch des Staates. Doch in der Praxis wird schon lange verhandelt: vor Gericht, auf den Fluren und in Hinterzimmern.
Seit 2009 ist der „Deal“ im Strafprozess gesetzlich geregelt. Doch nach einer Studie, die das Bundesverfassungsgericht eigens erstellen ließ, nehmen es viele Richter in der Praxis mit den Regeln nicht so genau.
So gaben fast 60 Prozent der befragten Richter an, dass sie entgegen der gesetzlichen Regelung mehr als die Hälfte ihrer Absprachen informell träfen. Die Mehrzahl der Verteidiger hatte schon Fälle, in denen Angeklagte ein möglicherweise falsches Geständnis ablegten, um eine mildere Strafe zu bekommen.
Und 28 Prozent der Richter überprüfen nach einer Absprache nicht mehr so genau, ob ein Geständnis auch glaubwürdig ist.