NSU-Angeklagter Carsten S. spricht Angehörigen Mitgefühl aus
München (dpa) - Im NSU-Prozess hat der Angeklagte Carsten S. den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl ausgesprochen. „Ich kann nicht ermessen, was Ihren Angehörigen für unglaubliches Leid, Unrecht angetan wurde“, sagte der 33-Jährige am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht München.
„Eine Entschuldigung wäre zu wenig. Eine Entschuldigung klingt für mich wie ein "sorry, und dann ist es vorbei" - aber es ist noch lange nicht vorbei. Ich wollte Ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken.“
Aufgrund der Aussagen von Carsten S. sucht die Bundesanwaltschaft nach einer möglichen weiteren unentdeckten Tat der Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Der Angeklagte Ralf Wohlleben habe ihm erzählt, dass die drei Untergetauchten jemanden angeschossen hätten, hatte S. im Prozess gesagt. Dies sei geschehen, nachdem er dem Trio eine Waffe übergeben hatte.
„Wir haben das Bundeskriminalamt beauftragt herauszufinden, ob in diesem Zeitraum eine Tat begangen worden sein könnte, wo jemand angeschossen wurde und die NSU-Bezug haben könnte“, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer am Mittwoch nach der Verhandlung. Carsten S. hatte die Ermittler im Prozess schon auf eine weitere neue Spur gebracht: Er deutete auf einen Rohrbombenanschlag in Nürnberg 1999 hin. Die Bundesanwaltschaft ermittelt deswegen mittlerweile gegen Beate Zschäpe wegen des Verdachts des versuchten Mordes.
Carsten S. hat zugegeben, den untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe eine Waffe besorgt zu haben - höchstwahrscheinlich jene Pistole der Marke „Ceska“, mit der die Terroristen neun Menschen ermordeten. Carsten S. ist nach eigenen Angaben kurz darauf aus der rechten Szene ausgestiegen. Er ist der bislang einzige der fünf Angeklagten im NSU-Prozess, der vor Gericht ausgesagt hat und Fragen beantwortet. Der Mitangeklagte Holger G. hatte lediglich eine Erklärung verlesen, aber keine Fragen zugelassen.
Am Mittwoch setzten die Vertreter der Nebenklage die Befragung von S. fort. Dabei ging es vor allem darum, wie weit er sich ab Herbst 2000 tatsächlich aus der rechten Szene gelöst hatte. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft warf die Frage auf, ob es wirklich Zufall war, dass der Ausstieg in die Zeit des ersten Mordanschlags der NSU-Terroristen am 9. September 2000 in Nürnberg fiel. Es bestehe ein „nicht ganz unauffälliger“ zeitlicher Zusammenhang, merkte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten an und fragte: „Gibt es da einen inneren Zusammenhang?“ Carsten S. verneinte entschieden.
Vertreter der Nebenklage werteten Carsten S.' Ausdruck von Mitgefühl unterschiedlich. Während der Rechtsanwalt Detlef Kolloge, der die Familie des in Rostock ermordeten Yunus Turgut vertritt, von einer „ziemlich überzeugenden“ Erklärung sprach, bewertete sein Kollege Yavuz Narin die Erklärung als „nicht überzeugende Schutzbehauptung“.