Wolfgang Schäuble: „Wir leben in der glücklichsten Phase der deutschen Geschichte“

Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu den Perspektiven nach den Finanzbeschlüssen vom Brüsseler Gipfel.

Herr Schäuble, mit dem Abstand einer Woche: Können Sie sich noch für die Brüsseler Finanzbeschlüsse begeistern?

Wolfgang Schäuble: Es geht nicht um Begeisterung, es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen — auch wenn diese manchmal hart sind. Wir haben erreicht, was erreicht werden konnte. Es wurden auf dem Gipfel gute Grundlagen geschaffen. Das Verständnis, dass das Schuldenproblem nicht durch noch mehr Schulden gelöst werden kann, setzt sich durch. Manchmal waren wir aber nicht nur von Verbündeten umgeben. Dieser Gipfel in Brüssel kann zu einem Markstein werden.

Hätten Sie jemals gedacht, dass die Schuldenbremse so viel internationale Autorität entfaltet?

Schäuble: Das ist erfreulich, wenn in Europa fast alle einsehen, dass es mit der Schuldenmacherei so nicht weitergehen kann. Ab einem gewissen Schuldenstand können neue Schulden keinen Wachstumsimpuls mehr setzen, kann man mit neuen Schulden zum Beispiel die Arbeitslosigkeit so nicht mehr abbauen. Der Punkt ist erreicht. Wir mussten reagieren, und wir haben reagiert.

Der EU-Gipfel hat sich vorbehalten, die Rettungsschirme mit größerer finanzieller Schlagkraft auszustatten. Ändert sich etwas am deutschen Haftungsrahmen?

Schäuble: Die gesamteuropäische Obergrenze von 500 Milliarden Euro für die Rettungsschirme EFSF und ESM wurde von den Staats- und Regierungschefs einmal mehr bestätigt. Richtig ist aber auch, dass wir den permanenten und effizienteren Rettungsschirm ESM möglichst frühzeitig aktivieren und an die Stelle des vorläufigen EFSF setzen wollen. Wir wollen den ESM schnell schlagkräftig machen. Ein Weg dies zu tun, wäre möglichst schnell den Kapitalstock des ESM aufzubauen. Denn der permanente Mechanismus funktioniert — anders als die EFSF — auf der Basis von Kapitaleinzahlungen. Das geht nur mit einem Nachtragshaushalt.

Wäre der Euro ein Patient — läge er noch auf der Intensivstation?

Schäuble: Nach einer schweren Operation ist er jetzt auf der Wachstation. Wir müssen noch gut auf ihn aufpassen.

Wie lässt sich die Macht der Rating-Agenturen eingrenzen?

Schäuble: Die Staaten haben ihnen doch selbst einen Teil des Übermaßes an Bedeutung gegeben: Für viele Anlagen sind Ratings vorgeschrieben. Zudem: Die Agenturen müssen sich auf dem Markt behaupten und sind ja selber auch gewinnorientiert. Um sich auf dem großen US-Markt zu behaupten, muss man ein bisschen trommeln. Ob das immer seriös ist, kann man gelegentlich hinterfragen. Aber: Wir erschlagen nicht den Überbringer schlechter Nachrichten, auch wenn diese Europa betreffen, sondern lösen unsere Probleme selbst.

Wird Politik durch die Agenturen erpresst?

Schäuble: Nein. Dazu gehören immer zwei. Die Drohung gegenüber EU-Ländern kann manchmal sogar in gewisser Weise helfen, weil sie Entscheidungsdruck erzeugt. Denn: Die Lage ist weiterhin ernst. Niemand darf in seinen Bemühungen nachlassen.

Was ist Ihr größter politischer Wunsch zu Weihnachten?

Schäuble: Dass ungeachtet der Probleme die Menschen das Gefühl nicht verlieren, in der glücklichsten Phase der deutschen Geschichte zu leben.