Interview: Klinikärzte machen Druck auf die Arbeitgeber
Rudolf Henke, neuer Chef der Gewerkschaft Marburger Bund, will für bessere Arbeitsbedingungen der Mitglieder kämpfen.
Düsseldorf. Herr Henke, erst die Piloten, dann die von Ihrem Verband vertretenen Klinikärzte im vergangenen Jahr, jetzt die Lokführer - werden von einzelnen Berufsgruppen hart geführte Tarifauseinandersetzungen künftig die Normalität in Deutschland sein?
Henke: Es wird auch in Zukunft der Regelfall bleiben, dass Tarifauseinandersetzungen über Verhandlungen und nicht erst nach einem Arbeitskampf gelöst werden. Die genannten Beispiele sind allerdings Ausdruck einer Übergangsperiode im System. Und an deren Ende wird mehr Pluralität und Flexibilität im Tarifgefüge stehen.
Aber bedeutet das nicht den Dauerstreik in Deutschland?
Henke: Diese Übergangsphase wird nicht ins Chaos führen. Ein Teil der Härte der Konflikte bei den Klinikärzten als auch jetzt bei den Lokführern geht - bei allen Unterschieden der beiden Gewerkschaften - darauf zurück, dass sich die Arbeitgeber bis dahin hartnäckig geweigert hatten, eine größere Eigenständigkeit einzelner Berufsgruppen zuzulassen. Dies zeigt auch die sture Haltung von Bahnchef Hartmut Mehdorn.
Andere argumentieren, diese Strategie der Gewerkschaften gehe zu Lasten des sozialen Friedens in den Betrieben.
Henke: Sozialer Ausgleich kann nicht über Tariftabellen geschaffen werden. Und: Arbeit muss als persönliche Leistung gerecht vergütet werden.
Dem Marburger Bund wie der GDL wurde vorgeworfen, die Interessen einer einzelnen Berufsgruppe auf dem Rücken der Allgemeinheit auszutragen.
Henke: Dient es denn dem Allgemeinwohl, wenn Spezialisten wie die Klinikärzte das Land verlassen müssen, damit sie anderswo bessere Arbeitsbedingungen haben? Wir wollen keine Mauern um unser Land schaffen. Aber Freiheit bedeutet auch neue Chancen, und die werden von den jüngeren Ärzten zunehmend genutzt. Diese Kollegen finden sich nicht mehr damit ab, dass sie alle Bedingungen akzeptieren müssen, um Arbeit zu finden. Und es liegt doch im Interesse des Landes, diese Spezialisten im Land zu halten. Weil etwas mehr Kosten bedeutet, heißt es nicht, dass es zu Lasten des Allgemeinwohls geht.
Im Frühjahr stehen Ihrem Verband neue Tarifverhandlungen mit den kommunalen Arbeitgebern ins Haus. Verraten Sie, mit welcher Forderung Sie in diese Verhandlungen gehen?
Henke: Das wird derzeit noch in den Gremien besprochen. Nur soviel: Wir werden eine intelligente Forderung stellen, die maßvoll und zugleich selbstbewusst ist. Dabei orientieren wir uns an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, an der Arbeitsverdichtung in den kommunalen Kliniken und am internationalen Vergleich.
Die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände warnt wegen einer angespannten Finanzlage der Häuser vor zu hohen Forderungen. Müssen sich die Patienten schon jetzt auf den nächsten Streik der Klinikärzte einstellen?
Henke: Die Arbeitgeber haben erklärt, für die Krankenhausmitarbeiter sei keinerlei Gehaltserhöhung möglich. Diese Ankündigung bedeutet angesichts der zu erwartenden Preissteigerungen unterm Strich ein Minus für die Beschäftigten. Diese Aussage vor Beginn der Verhandlungen ist für uns eine Steilvorlage, wenn es um die Mobilisierung unserer Mitglieder geht. Wir sind zu Verhandlungen bereit, lassen uns aber nicht an der Nase herum führen. Und dass wir kampffähig sind, haben wir unter Beweis gestellt.
Bei allem Kostendruck und dem Trend zur Spezialisierung - haben die kleinen, ortsnahen Krankenhäuser eigentlich noch eine Überlebenschance?
Henke: Gerade ältere Menschen haben Probleme, weite Strecken für eine medizinische Behandlung auf sich zu nehmen. Angesichts der demografischen Entwicklung wird die ortsnahe Versorgung daher Zukunft haben. Allerdings werden die Häuser in der Grundversorgung verstärkt geriatrische Abteilungen aufbauen und dafür wahrscheinlich die Geburtsstationen abbauen müssen. Zudem wird es zunehmend Portalkrankenhäuser geben, die mit großen Kliniken zusammenarbeiten, sowie Kombikliniken mit wenig Betten, die mit niedergelassenen Ärzten kooperieren.