Interview: „Mehr als nur ein Strohfeuer“

Der Soziologe Tino Bargel über die Studentenproteste.

Düsseldorf. Die Studenten lassen nicht locker. Hörsäle müssen von der Polizei geräumt werden, Arbeitsgruppen werden gebildet und Konzepte zum weiteren Vorgehen gebastelt. Unsere Zeitung sprach mit dem Soziologen und Hochschulforscher Tino Bargel (66) über die aktuelle Entwicklung der Proteste und den Vergleich mit der 68er-Bewegung.

Bargel: Eine gewisse Eigendynamik mit Klamauk und Rabatz, bis hin zum groben Unfug, gehört dazu. Das ist schon seit dem Hambacher Fest 1832 so, und das war bei den Studentenprotesten der 60erJahre auch nicht anders. Man erinnere sich nur an die Sprüche von damals, wie: "Traue keinem über 30." Gefährlich wird es nur, wenn der Klamauk überwiegt. Das sehe ich im Moment allerdings nicht so.

Bargel: Man muss die Aufmerksamkeit eben so erregen, wie man sie bekommt. Das hat auch etwas damit zu tun, dass es immer ein Event braucht, um die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen.

Ein provokativer Protest war schon immer studententypisch. Das zeugt von kreativem Potenzial. Das Besetzen von Hörsälen ist aber nicht nur ein Event. Die Studenten haben Anlässe dazu und sie entwickeln nach der Besetzung Konzepte und formulieren Ziele.

Bargel: Die Proteste sind im Vergleich zu denen im Jahr 2004 mehr als nur ein Strohfeuer. Diesmal ist es spannender, weil es mehrere Ansatzpunkte für den Protest gibt: Die Finanzierung von Unis und Bildung, der Gerechtigkeitsgedanke, die Studienbewältigung und die Zukunftsprobleme.

Bargel: Das ist jetzt die spannendste Frage: Was passiert, damit mehr draus wird? Kommen die Studenten zu Konzepten? Gelingt das, glimmt der Protest weiter und erreicht eine breitere Basis.

Bargel: Der große Unterschied gegenüber den 60er Jahren ist, dass die Studenten heute nicht mehr über den eigenen Nudeltopf hinausschauen. Sie stellen nicht mehr die Frage nach dem großen Ganzen. Das politische Interesse ist zurückgegangen.

Die Studenten stellen nicht die Systemfrage. Sie wollen nicht das politische System stürzen. Das ist auch gut so, denn so etwas endet schnell in Splittergruppen und terroristischer Gewalt. Das haben wir damals gelernt.

Bargel: Genug Protestbereitschaft war bei den Studenten immer vorhanden. Auch zu aggressivem Protest. Auch wenn nur ein kleiner Prozentsatz mitmacht, sind es ja schon Zehntausende. Neu und für mich sehr spannend ist, dass der Studentenprotest jetzt mit Oberstufenschülern unterfüttert ist.