Islamwissenschaftler: „Es gibt nur wenige, die wirklich integrationsunwillig sind“

Kritik muss sachlich bleiben, meint der Islamwissenschaftler Thorsten Schneiders.

Düsseldorf. Kritik muss sachlich bleiben, meint der Islamwissenschaftler Thorsten Schneiders.

Herr Schneiders, Im Zusammenhang mit dem Islam fällt oft der Begriff von Integrationsverweigerern und Parallelgesellschaften.

Schneiders: Das kommt daher, dass Muslime bzw. türkischstämmige Menschen in so großer Zahl in Deutschland leben, dass so etwas überhaupt erst möglich wird. Allein kann man keine Parallelgesellschaft bilden. Ich glaube aber, es gibt nur wenige Leute, die wirklich integrationsunwillig sind. Wer entscheidet sich schon freiwillig für die soziale Unterschicht, wenn er die reelle Chance zum Aufstieg geboten bekommt?

Schneiders: Zum Teil. Bisweilen wird so getan, als ob allein die Minderheit Schuld sei. Die andere Seite wird ausgeblendet. Doch beides bedingt sich. Manche Deutsche mögen keine Muslime. Das hat Folgen. Wenn ein Muslim mehrfach an einen solchen Deutschen gerät, sei er Lehrer, Arbeitgeber, Nachbar, Polizist - was glauben Sie, wie das wirkt? Und wenn Politiker und Journalisten diese Abneigung noch instrumentalisieren, wird die Luft zum Atmen dünn. Darauf reagieren die Betroffenen - entsprechend ihrem Bildungsgrad.

Schneiders: Viele sogenannte Islamkritiker verbreiten Stammtischparolen, damit ist leicht zu punkten. Kritik muss aber sachlich bleiben, sie soll schließlich zur Verbesserung einer Ausgangsposition führen. Natürlich muss man eine Steinigung im Iran anprangern, aber man darf nicht versuchen, so etwas monokausal zu erklären. Steinigung gleich Islam? Das ist Quatsch. Da spielen zum Beispiel immer auch politische Erwägungen eine Rolle.

Schneiders: Das ist in der Tat ein Problem, denn solche Fälle befeuern die unsachliche Diskussion. Muslime, vor allem die großen Interessensverbände, müssen sich wahrnehmbar gegen Fundamentalisten in den eigenen Reihen positionieren. Das passiert zu selten. Ein Muslim in Köln kann nicht sagen, was gehen mich die "Spinner" in Mönchengladbach an, die Fundamentalisten prägen auch sein Bild in der Öffentlichkeit - ob er will oder nicht.