Jahrestag: Der Mauerfall in Büchern

Zahlreiche Bucherscheinungen widmen sich den Ereignissen rund um den 9. November.

Düsseldorf. Dass politische Denkweisen den Blick auf die Vergangenheit bestimmen, wird schon deutlich beim Durchblättern von Bildbänden.

Im Großformat präsentiert beispielsweise eine Redaktionscrew der "Bild"-Zeitung um den Kriegsreporter Julian Reichelt Schwarz-Weiß-Fotografien von 1961-1992 - etliche davon aus Pressearchiven und von unterschiedlicher Qualität - die nahezu klassisch plakativ Furcht und Schauer erregen.

Das einzige Farbfoto in dem Band "Die Mauer - the wall" zeigt den damaligen Bundeskanzler Kohl im wogenden Meer von Deutschlandfahnen am 9. November 1989.

Dies ist der Schlussakkord des Buches. Es soll, laut Kohls Vorwort, vor dem Vergessen dessen bewahren, was "die Mauer war: Symbol für die Spaltung Deutschlands und Europas". Alles steht folglich im Zeichen purer Rückbesinnung.

Ebenfalls das Vergangene bildet der Band des Fotografen Robert Häusser ab. Der Fotograf floh 1952, von den DDR-Behörden drangsaliert, in den Westen. Seine Bilder setzen das Andenken weitaus persönlicher und expressiver in Szene: Zwei Grenzer am Fenster ihres erhöhten Grenzhäuschens scheinen im grellen Licht der Scheinwerfer wie Figuren auf einer erhellten Kinoleinwand. Es sind wirkungsmächtige Bilder von übergreifender Symbolik.

Der Fotograf Stephan Kaluza hat rund 50 Kilometer des kaum mehr sichtbaren innerstädtischen Verlaufs der Mauer auf etwa 30000 Bildern festgehalten: Brachflächen, Baustellen, Neubauten - die Bilanz nach 20 Jahren. Die Autorin Katrin Seglitz stellt in ihrem Roman "Der Bienenkönig" die Mauer als Synonym für Differenz dar: Zwei Brüder entzweien sich erst nach dem Fall des trennenden Bauwerks - eine eigene Wende.

Die Autobiografie des ost-oppositionellen Liedermachers Stephan Krawczyk verdeutlicht den Präzedenzcharakter seiner Identitätsverortung als Intellektueller bis heute. Krawczyks Blick ist zwiefach gebrochen: Als gelernter DDR-Bürger wurde er 1988 in die alte Bundesrepublik abgeschoben, am 2. Dezember 1989 betrat er mit veränderter Perspektive wieder die DDR. Die Nahtstellen in der Biografie solcher Menschen sind aufschlussreicher als manches Geschichtsbuch.

Möglicherweise liegen darin die Gründe, warum sich Erinnerungen und Erzählungen zum Mauerfall großer Beliebtheit erfreuen. Vor allem Buchhandelskunden im Westen scheinen sie einen identifikatorischen Zugang zum Thema zu eröffnen.

Zu nennen sind da "Die Nacht, in der die Mauer fiel", herausgegeben von Renatus Deckert, die von Julia Franck zusammengestellte Sammlung "Grenzübergänge" oder der Band "Mein 9. November" von Alfred Neven-DuMont.

Letzterer lässt Geburtstagskinder des 9. November und im wohl klügsten Vorwort zum 20. Jahrestag des Mauerfalls den Philosophen Richard David Precht zu Wort kommen: Der weist auf die Schwierigkeit, so genannte historische Momente zu begreifen, hin - Ost und West sind schließlich nicht einfach aus ihren Lebenswirklichkeiten zu rupfen.

Doch auch satirisch lässt sich das Thema begreifen. Die Anthologie "Unter Zonis" der Edition Tiamat versammelt Insiderberichte, Reise-Reportagen, soziologische und politische Analysen aus den letzten zwanzig Jahren von Autoren wie Wiglaf Droste, Martin Sonneborn, Gerhard Henschel, Joseph von Westphalen.

Fazit: angebracht wäre der Wiederaufbau der Mauer, denn, so auch der von dauernder Jubiliererei genervte Untertitel: "20 Jahre reichen jetzt so langsam mal wieder".