Nachfolgers von Sven Lehmann Duell um Vorsitz: Die NRW-Grünen suchen einen Vorsitzenden „auf Probe“
Die Wahl des Nachfolgers von Sven Lehmann gilt zunächst nur bis Juni. Kandidaten sind Felix Banaszak und Wolfgang Rettich.
Düsseldorf. Eigentlich wollten die NRW-Grünen auf dem Landesparteitag am Samstag in Kamen die neue Vorstandsstruktur schon in Satzungsform gießen. Aber die Berliner Sondierung hat den Zeitplan durcheinandergeworfen. Nun wird nur ein Eckpunktepapier zur Abstimmung vorgelegt, das die Reduzierung von 20 auf acht Vorstandsmitglieder skizziert. Die Entscheidung wird erst auf dem Parteitag am 9./10. Juni fallen. Dafür steht jetzt für die rund 270 Delegierten in Kamen eine andere Vorstandsfrage im Mittelpunkt: Wer wird als Landesvorsitzender Nachfolger von Sven Lehmann?
Der 38-jährige Kölner hatte nach seinem Einzug in den Bundestag Anfang Oktober angekündigt, sein Amt niederlegen zu wollen. Im Anschluss hatten zunächst Felix Banaszak, Sprecher des Duisburger Kreisverbandes, und dann Landesschatzmeister Wolfgang Rettich ihren Hut in den Ring geworfen.
Drei Monate später haben beide an die 30 Vorstellungstermine an der Parteibasis hinter sich, zumeist zu zweit: in den fünf Bezirksverbänden, in vielen der 53 Kreisverbände. Und obwohl sie im Gegensatz zur „Realo“-Vorsitzenden Mona Neubaur (40) beide zum linken Parteiflügel zählen, gehen die Kontrahenten mit sehr unterschiedlichen Politik-Konzepten in die Wahl.
Banaszak (28), zuletzt in Düsseldorf Leiter des NRW-Europabüros der grünen EU-Abgeordneten Sven Giegold und Terry Reintke, denkt eher in bundespolitischen Zusammenhängen. „Die Frage ist: Wie sehr konzentrieren wir uns schon auf die nächste Regierungszeit oder versuchen zunächst einmal, als Opposition wieder näher an die gesellschaftlichen Bewegungen heranzurücken?“
Die Landtagswahl habe gezeigt, dass Fehler „in alle Richtungen“ gemacht worden seien. Anfang dieses Monats legte Banaszak zusammen mit Jan-Niclas Gesenhues (Fraktionsvorsitzender im Steinfurter Kreistag) ein sechsseitiges Diskussionspapier über „Gleichwertige und gute Lebensverhältnisse für Stadt und Land“ vor. Es soll dazu beitragen, auch parteiintern das Gegeneinander städtischer und ländlicher Positionen zu überwinden, und die Partei vom Ruch befreien, Politik nur aus Großstadtperspektive zu betreiben.
Daraus folgt für ihn auch die Frage nach den parteiinternen Strukturen. „Funktionieren unsere Meinungsfindungsinstrumente noch?“ Es müssten Wege gefunden werden, wie die lokale Ebene bis in die Parteispitze durchdringen könne. Seine dritte Anfrage an die eigene Partei: Gebe sie immer noch die gleichen Antworten wie in den Landtagswahlkämpfen 2010 und 2012 — oder habe sie zu den neuen Themen von 2017 auch schon weiterentwickelte Positionen gefunden?
Für Rettich (39), selbst Ratsmitglied und stellvertretender Fraktionsvorsitzender in Bochum, ist die Kommunalpolitik Herzstück grüner Identität. „Ich sehe die Kommunalwahlen 2020 als Maßstab dafür, ob wir 2022 in NRW wieder an die Regierung kommen.“ Es gelte, die 2009 und 2014 gewonnenen rund 1500 kommunalen Ämter zu verteidigen. Das sei der „Resonanzboden“ für die Landesebene.
Der Partei, davon ist Rettich überzeugt, fehle noch eine „strategische Vernetzung mit der Kommunalpolitik“. Die vorgelegten Reformvorschläge des Landesvorstands trägt er mit. „Aber wie diese Vernetzung letztlich funktioniert, ist noch offen.“
Klima- und Umweltschutz bleiben für den gelernten Kaufmann auch in Zukunft die wichtigsten Themen der Grünen. Dazu kommt die Frage nach der digitalen Welt der Zukunft. Gläserne Kunden und Patienten könnten auf Dauer das Solidarprinzip der Sozialversicherungen gefährden.
Auch wenn für die Besetzung des Parteivorstands auf Bundesebene eine Woche nach dem Landesparteitag gerade die Überwindung der Flügelparitäten diskutiert wird, Rettich hält das Festhalten an den Strömungen immer noch für wichtig. „Die Grünen bilden den Rahmen für sehr unterschiedliche Peergroups und die müssen auch sichtbar werden. Bei uns heißen sie halt Flügel.“
Die Wahl am Wochenende ist quasi „auf Probe“: Sie gilt nur bis zum Juni, wenn der gesamte acht- oder 20-köpfige Vorstand neu gewählt wird. Bis dahin muss sich auch Mona Neubaur (40), seit 2014 Landesvorsitzende, entscheiden, ob sie wie erwartet erneut antritt. Für Wolfgang Rettich ist dagegen schon jetzt klar: Auch im Falle einer Niederlage am Samstag steht er im Juni als Landesschatzmeister nicht mehr zur Verfügung.