Gutachten: Pipeline auf dem Prüfstand
Die Enteignung von Grundstücksbesitzern könnte der Verfassung widersprechen.
<span style="font-weight: bold;">Düsseldorf. "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, die offenkundige Verfassungswidrigkeit des für den Pipelinebau maßgebenden Rohrleitungsgesetzes und die Sicherheitsbedenken sprechen gegen den Betrieb der Kohlenmonoxid-Pipeline und zwingen zur sofortigen Einstellung aller diesbezüglichen Baumaßnahmen." Der Appell der Bürgermeister von Ratingen, Monheim, Hilden, Langenfeld, Erkrath sowie eines Landrats fruchtete zwar bisher nicht. Doch er zeigt die beiden Hebel auf, mit denen Gegner der Bayer-Pipeline diese doch noch verhindern wollen. Zum einen sind dies Sicherheitsbedenken - ein Leck in der Kohlenmonoxid-Pipeline zwischen Dormagen und Krefeld würde Menschenleben gefährden. Entsprechende Klagen laufen. Betroffene ziehen aber auch mit einer ganz anderen Stoßrichtung vor Gericht. So wehren sich Grundstückseigentümer dagegen, dass ihnen ihre Rechte entzogen und auf Bayer übertragen werden sollen. Um die Rechtmäßigkeit solcher Enteignungen geht es überdies auch am Donnerstag im Landtag, wenn die Grünen beantragen, das Rohrleitungsgesetz als Grundlage der Enteignungen aufzuheben. Der Antrag wird aber in die Ausschüsse zur Fachberatung verwiesen.
Strenge Maßstäbe bei einer Enteignung zugunsten Privater
Auch wenn der Landtag das Rohrleitungsgesetz nicht selbst aufhebt - der gesetzlichen Grundlage für die Enteignungen zugunsten von Bayer könnte auch das Bundesverfassungsgericht einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn das Gesetz nämlich gegen das Grundgesetz verstößt. Eben das wird ausführlich begründet in einem von der Stadt Monheim in Auftrag gegebenen Gutachten des Kölner Juraprofessors Stefan Muckel. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist Artikel 14 Absatz 3 Grundgesetz. Danach ist "eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig". Um Enteignungen handelt es sich übrigens auch dann, wenn dem Eigentümer das Grundstück zwar nicht entzogen wird, er aber Nutzungsbeschränkungen hinnehmen muss. Aber kann eine Enteignung überhaupt dem "Wohle der Allgemeinheit" dienen, wenn sie "privatnützig" ist? Wenn also der Staat dem einen Privaten - dem Grundstückseigentümer - etwas wegnimmt und einem anderen Privaten - hier der Firma Bayer - zuschlägt? In der Tat kann auch dies dem Allgemeinwohl dienen, doch gelten hier sehr strenge Anforderungen. In dem berühmt gewordenen Boxberg-Urteil, in dem es 1987 um die unzulässige Enteignung zugunsten einer Teststrecke von Daimler-Benz ging, formulierte das Bundesverfassungsgericht: Bei einer Enteignung zugunsten Privater, "bei der Eigentum zwangsweise von einem Staatsbürger auf den anderen übertragen werden soll, die nur mittelbar dem Gemeinwohl dient und wo in erhöhtem Maße die Gefahr des Missbrauchs zu Lasten des Schwächeren besteht", muss der Gesetzgeber besonders verantwortungsvoll abwägen.Und an dieser verantwortungsvollen Abwägung des Landesgesetzgebers, so Gutachter Muckel, fehle es beim Rohrleitungsgesetz ganz eklatant. Eine entsprechende Abwägung der Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer mit dem Allgemeinwohlinteresse habe gar nicht stattgefunden.
Anders als der Düsseldorfer Staatsrechtler Professor Johannes Dietlein, den Bayer mit der Aussage zitiert, dass das Gesetz "in vollem Umfang den bundes- und bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen genügt", betont Muckel: Das Parlament hat lediglich "floskelhaft" darauf verwiesen, dass das Pipeline-Projekt mit dem von Bayer ins Spiel gebrachten, aber nicht näher konkretisierten Aspekt der "Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen" dem Allgemeinwohl diene.
In dem Gesetz stehe nichts zu der Frage, mit welchen Maßnahmen die Sicherung der versprochenen Arbeitsplätze flankiert werden könnten. Weder im Plenum des Landtags noch im Wirtschaftsausschuss habe es überhaupt eine Aussprache über das Gesetz gegeben. Fazit des Gutachtens: "Es ist geradezu handgreiflich, wie sehr der NRW-Gesetzgeber sich zum Anwalt der Bayer AG gemacht hat."