Landesjustizminister Thomas Kutschaty "Jeder, der in NRW einen Haftplatz braucht, kriegt auch einen"
Ob Taschendiebstähle, Wohnungseinbrüche oder Drogenhandel - immer mehr Straftaten werden bandenmäßig verübt. Auf die Spezialisierung der Täter antwortet die NRW-Justiz jetzt mit einem breiten Aufgebot an Spezialisten aufseiten der Staatsanwälte.
Düsseldorf. Explodierende Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung, sprunghaft steigende Zahlen bei Wohnungseinbrüchen und viele Probleme mit Straftätern aus Maghreb-Staaten - auch in Nordrhein-Westfalen wächst der Druck auf Polizei und Justiz. NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hat am Montag in Düsseldorf eine Analyse der drängendsten Probleme und ein Konzept für neue Formen der Kriminalitätsbekämpfung vorgelegt. "Jeder, der in Nordrhein-Westfalen einen Haftplatz braucht, kriegt auch einen.", antwortete Kutschaty auf die Frage nach den Haftkapazitäten in NRW.
DIE SCHWERPUNKTAUFGABEN: Kutschaty benennt vier zentrale Felder: Kriminalität in Großstädten - vor allem in sozialen Brennpunkten, Verbrechen reisender Straftäter, Aufbrechen von Clan-Strukturen und Gefährdung des Rechtsstaats durch Radikalisierung der Massen.
DAS JUSTIZPERSONAL wird zur Bewältigung der wachsenden Aufgaben deutlich verstärkt - allein in diesem Jahr mit jeweils 100 zusätzlichen Stellen für Richter, Staatsanwälte und Servicekräfte. Der Haushaltsentwurf für 2017 sieht weitere 100 Stellen vor.
WOHNUNGSEINBRÜCHE: In zahlreichen Staatsanwaltschaften können somit die Abteilungen für organisierte Kriminalität verstärkt oder Sonderdezernate für Wohnungseinbrüche gebildet werden: in Aachen, Arnsberg, Bielefeld, Bochum, Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Hagen, Kleve und Köln. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Wohnungseinbrüche ständig gestiegen - in NRW allein von 2014 auf 2015 um 18 Prozent auf über 62 000 Fälle. Nur jeder siebte Fall wird aufgeklärt. Die Täter arbeiten zunehmend arbeitsteilig und in bandenmäßigen Strukturen. Die Sonderdezernate sollen helfen, dieses Netz besser zu durchleuchten statt Einzelfälle abzuarbeiten. Sobald bandenmäßiger Einbruch nachgewiesen werden kann, haben Richter die Möglichkeit, Täter für längere Zeit aus dem Verkehr zu ziehen.
TASCHENDIEBSTAHL UND STRAßENKRIMINALITÄT: Auch in diesem Bereich sollen spezialisierte Sonder- und Schwerpunktdezernate Sachverstand bündeln, um neue Tricks und Maschen schneller zu erkennen und Wiederholungstäter früher dingfest zu machen. Vorgesehen ist das unter anderem bei den Staatsanwaltschaften in Arnsberg, Bielefeld, Detmold, Essen, Hagen und Münster.
STRAFE FOLGT AUF DEM FUßE: Die Möglichkeit beschleunigter Verfahren - bislang erst in Köln und Düsseldorf erprobt - wird auf neun weitere Großstädte ausgeweitet: Aachen, Bielefeld, Bonn, Detmold, Duisburg, Mönchengladbach, Münster, Siegen und Wuppertal. Wer auf frischer Tat ertappt wird, kann direkt für maximal eine Woche in Haft genommen werden. Innerhalb dieser Frist folgt auch das Gerichtsurteil. Möglich ist das Verfahren für alle Delikte mit einem Strafrahmen bis maximal einem Jahr Freiheitsstrafe. Es wird vor allem angewendet, wenn Fluchtgefahr droht, etwa bei Tätern ohne festen Wohnsitz.
CLAN-STRUKTUREN: Sonderdezernate sollen sich in einschlägig bekannten Stadtteilen um Clan-Kriminalität kümmern. In Dortmund wird ein Dezernat „Brennpunkt Nordstadt“ geschaffen. Dort sollen Staatsanwälte arbeiten, die in diesem Milieu bestens vertraut sind. Dezernate gegen Clan-Strukturen wird es auch bei den Staatsanwaltschaften in Bielefeld und Essen geben.
ROCKER-KRIMINALITÄT: Um die schwersten Jungs aus der Szene kümmern sich künftig Sonderdezernate in Aachen und Duisburg.
MAGHREB: Kriminelle aus den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien machen Polizei und Justiz arg zu schaffen. Auf diese Gruppe sei es zurückzuführen, dass die Zahl der Untersuchungsgefangenen in NRW mit 2815 Inhaftierten so hoch sei wie lange nicht, berichtete Kutschaty. 424 Untersuchungshäftlinge mehr als im Vorjahr - „das ist so viel wie ein Gefängnis“. Meist gehe es um Diebstahl, Raub und Einbrüche. In den Gefängnissen falle diese Gruppe - derzeit 750 Einsitzende - durch hohe Aggressivität und Respektlosigkeit auf.
HETZE: Mit dem Flüchtlingszuzug hat die Zahl der Straftaten mit ausländerfeindlichem Hintergrund enorm zugenommen. Im vergangenen Jahr führten die Staatsanwaltschaften in NRW allein 207 Verfahren wegen Volksverhetzung - fast viermal so viele wie 2014 (54). Auch die polizeiliche Kriminalstatistik registrierte von 2014 auf 2015 einen deutlichen Anstieg von 536 auf 816 Fälle. Die Zahl der Verurteilungen wegen Volksverhetzung stieg in dem Zeitraum von 58 auf 78. Gegen Hasskommentare im Netz geht seit Jahresbeginn eine Zentralstelle gegen Cyberkriminalität in Köln vor. dpa