Kardinal Meisners doppelte Provokation

Analyse: Nicht nur die Wortwahl, auch die Aussage des Erzbischofs über Kultur empört.

Köln. "Entartet" - mit einem einzigen Wort hat der Kölner Kardinal Joachim Meisner gleich zwei heftige Debatten losgetreten. Die eine dreht sich um die Frage, wie es sein kann, dass ein hoher katholischer Würdenträger ein Wort aus dem Propaganda-Arsenal der Nazis in seine Predigt einbaut. Die zweite Debatte betrifft den Anspruch des Erzbischofs, dass wahre Kultur auf Gott bezogen sein müsse, dass Kultur ohne Gottesbezug ihr Wesen verliere.

Eigentlich war es ein schöner Anlass. Es gibt ein neues Museum in Köln, dessen Atmosphäre begeistert. Das Diözesanmuseum Kolumba wurde in der vergangenen Woche eingeweiht, und dazu fand ein Gottesdienst im Kölner Dom statt. Dort predigte Meisner (73) über Kunst und Kultur - und sagte gegen Ende seiner Ansprache: "Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus, und die Kultur entartet."

Das war kein zufälliger Ausrutscher. Den Predigttext hatte Meisners Pressestelle schon am Freitagnachmittag vorab verbreitet. Das Wort "entartet" stand drin, und Meisner trug wörtlich aus dem Manuskript vor. Und erntet seitdem heftigste Kritik.

Niemand, der Meisner kennt, würde ihm geistige Nähe zu den Nationalsozialisten vorwerfen. Vielleicht wollte er sogar tatsächlich ihr eigenes Vokabular gegen sie wenden, wie es in Erklärungsversuchen im Nachhinein heißt: Die Wurzel allen Übels, das totalitäre Diktaturen, nicht nur die der Nazis, über die Menschheit bringen, liegt für Meisner darin, dass sie gottlos sind. Diese Systeme sind daher aus seiner Sicht "entartet".

Aber wer Anleihen bei Hitlers faschistischem Vokabular mache, der laufe Gefahr, auch dessen Inhalte wieder hervorzuholen, meinen Kritiker. "Geistig wabert aus dieser Zeit immer noch etwas herüber, und es wäre besser gewesen, wenn Kardinal Meisner dieses Wort nicht gebraucht hätte", sagt der Schriftsteller Ralph Giordano. Und Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden in Deutschland sagt: "Wenn das Schule macht, darf sich keiner wundern, wenn der braune Ungeist in Deutschland weiter salonfähig wird."

Auch ohne das Wort "entartet" birgt Meisners Aussage Sprengkraft. Kommentatoren werfen ihm eine fundamentalistische Perspektive vor, wenn er als Kultur nur gelten lassen will, was auf Gott bezogen, religiös motiviert, spirituell durchdrungen sei.

Das Unwort Als "entartete Kunst" galten im Dritten Reich Kunstwerke, die nicht mit dem Schönheitsideal der Nazis im Einklang standen. Die Nazis hatten 16 000 moderne Kunstwerke beschlagnahmt. In München hatte Hitlers Chef-Propagandist Joseph Goebbels eine Ausstellung "Entartete Kunst" initiiert. Sie zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen.