Kopfnoten: Aus Betragen wird Verhalten

Zeugnisse: Freitag gibt es wieder Zeugnisse – mit Kopfnoten. Die waren früher fast wichtiger als die Fachbewertungen.

Solingen. Die Kopfnoten sind wieder da - auch wenn sie heutzutage manchmal am Fuß der Seite stehen. Benotet werden auch nicht mehr das Betragen oder der Fleiß, sondern das Arbeits- und Sozialverhalten des Pennälers mit Formulierungen aus einem Arbeitszeugnis umschrieben ("entspricht den Anforderungen im Allgemeinen" - was ein Befriedigend bedeuten soll).

Vor noch nicht allzu langer Zeit erschien die Bewertung von sogenannten Sekundärtugenden "repressiv-autoritär". Als Schlagworte dienten Anpassung, Dressur. Die Kopfnoten wurden in der Folge in fast allen Bundesländern in den 1960er und 1970er Jahren abgeschafft. Werteunsicherheit, Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Gewalt und die Herausbildung von Schlüsselqualifikationen in der Ausbildung führten in den 1990er-Jahren zum Umdenken.

In der Vergangenheit waren Kopfnoten für manche Eltern wichtiger als das Abschneiden in den Schulfächern. Wurden das Betragen und der Fleiß mit "nicht immer ganz ausreichend" bewertet, setzte es für den faulen Flegel Stubenarrest und Fußballverbot. Keine Sorgen musste sich der 14-jährige Erich Kamper machen, als er 1922 sein Entlassungszeugnis vom Rektor der Evangelischen Volksschule in Ohligs erhielt (siehe Foto): Im Kopf stehen zwei Zweier, dazu wurde ihm noch ein regelmäßiger Schulbesuch attestiert.

Schulzeugnisse waren lange Zeit schmucke Urkunden: Die Schrift hieß nicht wie im Computer-Zeitalter Arial oder Times New Roman, sondern die Noten wurden in schwungvoller Handschrift mit Zierversalien zu Papier gebracht - solch ein Kunstwerk bekommt man nur konzentriert hin. Es gab auch keine Punktewertung bis 15, sondern nur vier Notenstufen: recht gut, gut, genügend und ungenügend. Bei dem Ohligser Erich Kamper entschieden sich die Lehrer noch für eine Zwischenlösung, in drei Fächern gab es ein "ziemlich gut".

Geschichte Die Kopfnoten haben ihren Ursprung im Benefizienzeugnis des 16. Jahrhunderts, das armen Schülern als Grundlage für ein Stipendium diente. In dem Sittenzeugnis wurden Fleiß und Führung beurteilt. Bis ins 20. Jahrhundert wurde die Beurteilung der Charakter-Eigenschaften wie Ordnung, Fleiß, Aufmerksamkeit (Beteiligung am Unterricht) und Betragen (Führung) aufgelistet. In den 1960er- und 1970er Jahren wurden diese Bewertungen abgeschafft. Begründung: Schule beurteilt Leistungen, nicht Charaktere. Außerdem dürften Lehrer keine Willkür ausüben. In der DDR gab’s die Kopfnoten bis zum Untergang des Regimes.

Streit Heute sollte es in NRW mit dem Halbjahrszeugnis wieder überall Kopfnoten geben. Aber vor allem Gymnasien und Gesamtschulen wollen aus Protest gegen den "pädagogischen Humbug" bei der Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens generell ein "gut" vergeben.