Linkspartei: Ein Besser-Ossi erklärt die Welt

Den bedeutendsten Landesverband heben PDS und WASG erst ganz zum Schluss aus der Taufe: Nordrhein-Westfalen.

Gladbeck. Wie ernst muss man diese neue Partei nehmen? Der erste Eindruck inmitten der eiskalten früheren Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck mag einen aufs falsche Gleis locken: Da sitzen sie, die rund 300 Delegierten, und gründen den nordrhein-westfälischen Landesverband der Linkspartei. Ein paar Frauen stricken so fleißig Socken oder Pullover, als wollten sie die Gründungsversammlungen der Grünen Anfang der 80er Jahre in den Schatten stellen - allein mit der Macht ihrer Stricknadeln. Am Rande des Podiums haben sich ein paar Latzhosen- und Cordjacken-Träger aufgestellt und halten ein Transparent aus liebevoll miteinander verklebten DIN-A4-Blättern hoch. Darauf steht: "Düsseldorf, wir kommen!" Hinter ihnen bröckelt der Putz von den Wänden, vor ihnen beißt ein Bartträger unappetitlich in seine Frikadelle. Muss man nun Angst haben um Düsseldorf?

Die so genannte neue Linke mag viel sein: bunt, chaotisch, noch ziemlich instabil. Hier sitzen alte Trotzkisten, junge Autonome, WASG- und PDS-Leute, frühere Sozialdemokraten und jede Menge Gewerkschaftsmitglieder. Neben der Suppenküche dürfen DKP-Mitglieder ungehindert schwer verdauliche Kost verteilen. Eines aber ist die Linke sicher nicht: harmlos. Das zeigen schon die Umfragen. Obwohl es die Partei in NRW noch gar nicht gab, erreichte sie bereits bis zu acht Prozent. Und schon bald könnte sie mit einem Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag vertreten sein. Der Wirtschaftspolitiker Rüdiger Sagel, der im Juni die Grünen-Fraktion verlassen hatte, wird wohl morgen seinen Beitritt zur Linken erklären.

Gregor Gysi hat gut lachen. Der Linkspartei-Fraktionschef im Bundestag ist extra ins Ruhrgebiet gekommen, um seine Genossen einzunorden. Er weiß: Wer NRW gewinnt, gewinnt die Republik. Seit der Wende waren es immer wieder die "Besser-Wessis", die den Ossis die Welt erklären mussten. Jetzt, in Gladbeck, ist es genau umgekehrt.

Gysi genießt es, den "Besser-Ossi" zu geben. Wie ein gutmütiger, knuffiger Onkel tritt er auf: "Ihr dürft Euch zu 20 Prozent mit Euch selbst beschäftigen. Aber zu 80 Prozent müsst ihr Politik für die Leute draußen machen", erklärt er den unbedarften Partei-Neugründern sanft, um dann wieder in schneidendem Ton Profit-Interessen für Krieg, Hunger und Umweltverschmutzung auf der Welt verantwortlich zu machen. "Der Kapitalismus muss überwunden werden", ruft er den Genossen zu. Als die eine Spur zu sehr jubeln, nimmt er wieder Fahrt aus der Rede: Nein, demokratisch solle der Sozialismus sein, nicht dogmatisch, nicht diktatorisch. "Wir machen es mit der Mehrheit der Menschen, oder wir machen es nicht." Ob das die Revoluzzer im Saal überzeugt?

Acht Prozent in den Umfragen oder mehr - das geht nur, wenn die Linke nicht als Bürgerschreck auftritt. Gysi selbst hat die Phase längst hinter sich. Er beschreibt es so: "Erst war ich der Satan, dann der Wolf im Schafspelz, und dann dachten einige, der ist ja ganz nett, aber vielleicht sind die Leute hinter ihm ganz böse."

Die Berliner Parteizentrale kann zufrieden sein: Die Gründung der Linkspartei in NRW ist relativ geordnet über die Bühne gegangen. Damit das fragile Gebilde hält, braucht es jetzt noch einer prominenten, respektablen Person an der Spitze, die integriert statt zu intrigieren. Wunschkandidat der Linken dafür wäre Rudolf Dreßler. Der frühere SPD-Sozialexperte aus Wuppertal ärgert sich schon lange über die Schröders und Münteferings, die seine Partei modernisiert - nach Dreßlers Lesart: zerstört - haben. Doch wird er sich das wirklich antun, nun an Rhein und Ruhr den kleinen Lafontaine zu spielen? Die Linke NRW will Studiengebühren abschaffen, die Einheitsschule einführen und die Mitbestimmung der Landesbediensteten wieder verbessern. Soweit könnte Dreßler mitgehen. Aber den Verfassungsschutz verbieten? Auf Eigentumsrechte pfeifen? Geld ausgeben, das gar nicht in der Kasse ist? Das Kleid des Radikalinskis würde Dreßler nicht stehen.