Machtwechsel im Herbst?

Europa wählt kritisch. In vielen Ländern hat es erratische Ergebnisse gegeben, ob in Österreich, Niederlanden oder Großbritannien. Deutschland wählte normal und brav, nur die "Sonstigen Parteien" haben sich mehr als verdoppelt gegenüber Bundestagswahlen.

Aber ein lodernder Protest gegen die "Systemparteien" ist das nicht. Keines dieser Grüppchen kam über magere Prozentpünktchen hinaus. Flammender Anti-Parteienprotest sieht anders aus.

Aber die SPD wurde gehörig abgestraft. Das eint sie mit vielen Schwesterparteien, insbesondere mit Labour in Großbritannien. Nur, warum? Dort eine krisen- und skandalgeschüttelte Regierung, die total abgewirtschaftet hat, hier ein stabiler Juniorpartner in der Großen Koalition, der sich nach manchen Turbulenzen in Politik und Personen wieder gefangen zu haben scheint.

Der Abstand zur Union, die respektabel abgeschnitten hat, bleibt von 23 Prozentpunkten 2004 immer noch bei 17 Prozentpunkten. Das ist kein gutes Signal für die Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres, auch wenn die SPD nach wie vor von einem Kopf-an-Kopf-Rennen träumt, wie es Schröder vor vier Jahren vorgemacht hat.

Wo liegen die Gründe, dass die beiden Volksparteien so unterschiedlich abgeschnitten haben? An der materiellen Politik kann es kaum liegen, hier haben sie sich großkoalitionär angenähert und überbieten sich mit Wahlwohltaten für große Arbeitnehmergruppen oder kleine Klientelkerne, wie die Milchbauern.

Europawahlen sind immer mehr vorpolitische Meinungswahlen als konkrete Politikentscheidungen. Die Wähler haben ein gutes Gespür dafür, dass das Europaparlament trotz mancher Erfolge eben immer noch keine verantwortliche Volksvertretung geworden ist. Deshalb sind auch die kleinen und kleinsten Parteien bei Europawahlen traditionell stärker als bei Bundestagsentscheidungen. Und wenn es um die Popularität geht, dann liegt eben die Kanzlerin vorn: bei den Meinungsumfragen und bei den Wahlen.

Aber trotz Meinungswahl haben die Höhenflüge der kleinen drei deutschen Oppositionsparteien in der Demoskopie der vergangenen Monate ihre Grenzen gefunden. Die FDP jubelt zwar über ihren Zuwachs, wurde aber von ihren 18 Umfragenprozent kräftig zurückgestutzt und muss sich mit dem dritten Platz hinter den Grünen zufrieden geben. Diese fuhren ihr bestes Europaergebnis ein.

Die Linke sank deutlich unter zehn Prozent und büßte einen guten Teil ihres Wachstums-Nimbus ein. Das Erstaunlichste war das Wiedererstarken der CSU. Nach der desaströsen Landtagswahl findet sie scheinbar wieder zur alten Größe zurück. Für Seehofer ein Befreiungsschlag, aber für die Kanzlerin auch eine Bedrohung. Die CSU wird sich zu ihrer Opposition in der Regierung weiter ermutigt fühlen.

Die entscheidende Frage bleibt offen: Gibt es im Herbst einen Machtwechsel hin zu Schwarz-Gelb oder bleibt die Große Koalition? Alle anderen Dreierbündnisse, die ja auch jetzt schon Mehrheiten hätten, was oft vergessen wird, erscheinen unrealistisch. Rechnerisch würde das Europaergebnis für einen Machtwechsel reichen, aber hier darf man die Wahlbeteiligung nicht vergessen.

Dass sie so niedrig blieb, ist bedauerlich, aber es freut immerhin, dass sie nicht weiter in den Keller gesunken ist, wie in manchen Nachbarländern. Im Herbst werden wohl doppelt soviel Wähler zur Urne gehen, und die werden anders wählen. Möglicherweise mehr sozialdemokratisch, aber wieviel, das weiß heute keiner. Es wird ein kritischer Sommer.

Professor Ulrich von Alemann lehrt Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.