NRW Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der Defensive

Die Opposition nimmt die Ministerpräsidentin bei vielen Themen in die Zange — und der Ausschuss am Freitag wird zum Tribunal.

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Düsseldorf. Für die Sitzung eines Landtagsausschusses interessieren sich nur wenige Menschen. Sollten es doch mal mehr sein, wird das Geschehen von einem Fraktionssaal per Videoschalte in einen zweiten übertragen. Für eine Sitzung am Freitag schätzt die Landtagsverwaltung das Interesse aber so groß ein, dass diese als eine Art Public Viewing live im Besucherzentrum des Landtags zu verfolgen sein wird. Erwartet wird: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Gewaltexzesse in der Kölner Silvesternacht will die Opposition die 55-jährige SPD-Politikerin ab 9.30 Uhr in die Zange nehmen. CDU und FDP wittern ihre Chance, das einst strahlende Bild von der „Kümmerin“ weiter einzutrüben.

Das Thema: Wann hatte die Ministerpräsidentin Kenntnis von den gewaltsamen Übergriffen vor dem Kölner Dom, warum reagierte die Landesregierung erst Tage später? Kraft hatte Ende Mai mit einem ungewöhnlichen Schritt einen Befreiungsschlag versucht, als sie per Eidesstattlicher Versicherung aussagte, dass es zwischen Staatskanzlei und Innenministerium vor dem 4. Januar keine Kontakte mit Bezug auf die Kölner Ereignisse gegeben habe. Schon die Tatsache, dass die Ministerpräsidentin zu diesem im Politikbetrieb ungewöhnlichen Instrument griff, bestätigt die Nervosität angesichts der Verdächtigungen, dass da vielleicht etwas vertuscht werden sollte.

Die Opposition schlägt genüsslich immer wieder in diese Kerbe. Der Ausschuss — so wichtig sein Auftrag mit Blick auf die Aufklärung des Geschehens ist, die man den Opfern der Übergriffe schuldet — ist längst zum Tribunal geworden. Zur Plattform, auf der die Opposition der Landesregierung Fehler nachweisen will.

Eine Plattform von vielen. Quasi im Wochentakt suchen sich die Oppositionsführer Armin Laschet (CDU) und Christian Lindner (FDP) auch andere Themen, mit denen sie die rot-grüne Kraft-Regierung und die Regierungschefin selbst vor sich hertreiben. In Sitzungswochen des Landtags werden die Attacken im Plenum geritten, ansonsten halt in immer wieder einberufenen Pressekonferenzen, in denen tatsächliche oder vermeintliche Fehlleistungen der Regierung thematisiert werden. Dabei treten Laschet und Lindner mal getrennt, mal im Doppelpack auf, um dem Angriff mehr Gewicht zu geben. Vom wirtschaftlichen Nullwachstum des Landes über den Ausfall von Schulstunden, von den Rekord-Einbruchszahlen bis zur schwerfälligen Umsetzung der Inklusion. Irgendwas ist immer.

Die Ministerpräsidentin wirkt dabei oft wie eine Getriebene. Journalisten lädt sie zwar ab und zu zum Hintergrundgespräch — „Kraft-Raum“ heißt das dann. Doch regelmäßige Pressekonferenzen möchte sie nicht. Dafür gewährt sie über einen absichtlich amateurhaft gehalten Videoblog Einblicke in ihren Alltag — vom Besuch einer Bahnhofsmission über eine Reise nach Estland bis zu wackligen Bildern aus ihrem Büro im Düsseldorfer Stadttor. Da hat sie die Deutungshoheit, und da kommt sie auch menschlich rüber. Anders als bei öffentlichen Auftritten, in denen Kraft auf Fragen, die ihr nicht behagen, oftmals schnippisch, abwehrend, schmallippig reagiert.

Dabei weiß sie Menschen für sich einzunehmen, mitzunehmen, zu trösten. Gleich in den Beginn ihrer Amtszeit fiel im Juli 2010 die Loveparade-Katastrohe. Da stand sie in einer eindrucksvollen und schnellen Reaktion den Menschen bei, versprach Hilfe. Und stieß dann doch an ihre Grenzen, als sie vor ein paar Wochen nur verbittert kommentieren konnte, dass es vielleicht nicht mal zu einer strafrechtlichen Aufarbeitung des Geschehens kommt. Die Mutter eines bei der Katastrophe zu Tode gekommenen jungen Mannes wandte sich daraufhin enttäuscht ab, als sie gegenüber unserer Zeitung sagte: „Von einer Tagesbetroffenheit der Ministerpräsidentin haben wir Hinterbliebene und die Verletzten nichts. Am Anfang habe ich geglaubt, dass Frau Kraft das auch so meinte, aber mittlerweile fühle ich mich für PR-Zwecke missbraucht.“

Dass Hannelore Kraft mal so etwas wie die Angela Merkel der SPD war, ist lange vorbei. Vorbei die Zeit, als man ihr zutraute, sie könne der Kanzlerin irgendwann mal auf Bundesebene Paroli bieten. Doch das Thema hat sie mit ihrem Satz vor Genossen im November 2013 abgeräumt: „Ich werde nie, nie als Kanzlerkandidatin antreten. Ich bleibe in Nordrhein-Westfalen. Darauf könnt ihr euch verlassen.“

Klar, das klingt positiv, das klingt NRW-verbunden. Doch die Opposition weiß auch das zu Krafts Nachteil umzudeuten. So argumentiert FDP-Chef Lindner: „Dass sich Kraft von der bundespolitischen Bühne verabschiedet hat, hat zu einem massiv verschlechterten Rating in Berlin geführt. Deshalb kriegen wir auch nichts mehr durchgesetzt.“ Lindner spricht von „Selbstverzwergung“ des größten Bundeslandes.

Wenn der FDP-Mann im Landtag spricht, dann hört auch Hannelore Kraft von der Regierungsbank aus meist mit einem interessierten Lächeln dessen kampfeslustiger Rhetorik zu. Soll er von Selbstverzwergung reden, mag sie sich da denken. Und selbst wenn das Wort auch auf ihre in den Umfragewerten dahindümpelnde SPD zutreffen mag, so scheint sie doch zu glauben, dass sie das Ding im Wahlkampf drehen kann.

Wie schwankend die Stimmung beim Volk ist, kann Kraft auch an den regelmäßigen Umfragen zur Beliebtheit der Politiker ablesen. Infratest dimap fragt das für das WDR-Magazin Westpol immer mal wieder repräsentativ ab. So war Kraft im Februar beim Ranking der beliebtesten Politiker im Land mit 59 Prozent auf ihren persönlichen Tiefpunkt seit Dezember 2010 abgefallen. Ende Mai waren es wieder 65 Prozent der Wähler, die mit ihrer Arbeit zufrieden waren. Und die Konkurrenz? Christian Lindner liegt immerhin bei 48 Prozent und Armin Laschet bei nur 38 Prozent.

Die beiden werden am Freitag übrigens nicht in den Ring treten, wenn es darum geht, Krafts Popularität im Silvesterausschuss neue Kratzer beizubringen. Beide sind nicht Mitglied in dem Ausschuss, die Arbeit werden andere „Inquisitoren“ erledigen. Übrigens: Anders als Debatten im Plenum, die im Livestream über die Internetseite des Landtags verfolgt werden können, ist dies bei Ausschusssitzungen ausgeschlossen.