Neue Attacke auf NRW-Wahlgesetz
Verfassungsexperte Martin Morlok hält die Abschaffung der Stichwahl für problematisch. Wirbel um den Wahltermin.
Düsseldorf. Das Chaos um die Kommunalwahl in NRW wird immer größer: Jetzt gibt es massive Bedenken gegen die Abschaffung der Stichwahl für Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte. Schon geistert das Gespenst einer neuen Verfassungsklage durch den Landtag.
Künftig soll in NRW nach dem Willen der schwarz-gelben Landesregierung die einfache Mehrheit im ersten Wahlgang bei der Direktwahl der Spitzenkandidaten reichen. "Nur in Simbabwe und in NRW" werde bei Direktwahlen auf eine Stichwahl verzichtet, sagte Grünen-Fraktions-Vize Reiner Priggen.
Einen eklatanten Verstoß gegen das Demokratieprinzip will Ralf Jäger, Fraktionsvize der SPD im Landtag, ausgemacht haben. Schließlich reiche eine nur geringe Mehrheit für die Direktwahl eines Bewerbers.
Tatsächlich ist NRW das einzige Bundesland, in dem es keine Stichwahl bei den kommunalen Direktwahlen gibt. "Die CSU bei uns in Bayern hatte das vor vier Jahren auch mal vor. Aber die sind aus verfassungsrechtlichen Bedenken und wegen des Aufschreis aus den Kommunen davor zurückgeschreckt", sagte der bayrische SPD-Bundestagsabgeordnete und Wahlrechtsexperte Carl-Christian Dressel unserer Zeitung.
Zwischen Rhein und Weser reicht jetzt die einfache Mehrheit im ersten Wahlgang. Das könnte groteske Verzerrungen zur Folge haben. Beispiel: Bei der jüngsten Kommunalwahl im Jahr 2004 kam der CDU-Kandidat in Hagen im ersten Wahlgang auf 39,5 Prozent. Er musste in die Stichwahl, unterlag dort dem SPD-Mann. Hätte damals aber die neue Regelung schon gegriffen, wäre er bei der Wahlbeteiligung von damals 47,8 Prozent mit 18,5 Prozent der Wahlberechtigten zum Stadtoberhaupt gewählt worden.
Bedenken hat auch Verfassungsrechtler Martin Morlok: "Ich sehe drei Knackpunkte bei der Abschaffung der Stichwahl: Sie schmälert die Chancen der kleinen Parteien, mit Absprachen vor einem zweiten Wahlgang einen eigenen Kandidaten durchzubekommen; es entsteht ein Legitimitätsdefizit wegen des geringen Wählerrückhalts, und die Abschaffung schränkt das Gestaltungsrecht der Wähler ein."
Morlok hatte SPD und Grüne am 18. Februar erfolgreich vor dem Landesverfassungsgericht vertreten. Dort kippten sie den 7. Juni als Wahltermin, der von CDU und FDP geplant war. Nun soll am 30.August gewählt werden. Dagegen formiert sich immer mehr Widerstand in den Kommunen, weil sie die Kosten von insgesamt 42 Millionen Euro tragen sollen. Die SPD hat eine Protestaktion im Internet gestartet. Auch viele CDU-Kommunalpolitiker lehnen den 30. August ab, und selbst die FDP in Essen hat eine Resolution gegen den Termin beantragt. Dort ist der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion, Ralf Witzel, Parteichef. Sogar eine Verlegung des NRW-Tags in Hamm, der am 30.August stattfinden sollte, ist im Gespräch. Am Mittwoch gibt es eine Sondersitzung des Landtags zum Thema.