NRW beendet „Bildungskrieg“ mit neuer Schulform
Eine große Bildungskoalition erfindet eine neue Schulform: In wochenlangen Geheimgesprächen haben SPD, Grüne und CDU in Nordrhein-Westfalen die „Sekundarschule“ konzipiert. Der Friede nach dem langjährigen „Schulkrieg“ soll von Dauer sein.
Düsseldorf. Mit einer neuen Schulform beenden die rot-grüne Minderheitsregierung und die CDU einen jahrzehntelangen Streit um das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen. Nach mehrwöchigen Spitzengesprächen einigten sich beide Lager darauf, eine schulformübergreifende „Sekundarschule“ ohne eigene Oberstufe für die Klassen 5 bis 10 einzuführen.
„Wir haben für Nordrhein-Westfalen einen Schulfrieden für die nächsten zwölf Jahre geschlossen“, sagte die Ministerpräsidentin und SPD-Landeschefin Hannelore Kraft (SPD) am Dienstag in Düsseldorf. Der CDU-Landesvorsitzende, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, betonte, mit dem Kompromiss werde das gegliederte Schulsystem politisch und verfassungsrechtlich abgesichert. „Es wird definitiv in Nordrhein-Westfalen keine Einheitsschule geben.“ Er gehe davon aus, dass der Konsens über NRW hinaus Bedeutung erlangen werde.
Vertreter der Verhandlungsparteien und mehrere Lehrerverbände sprachen von einem „historischen Kompromiss nach jahrzehntelangem ideologischem Streit“. Kraft räumte ein: „Jeder hat Kröten schlucken müssen.“
Alle drei Parteien wollen nun einen gemeinsamen Gesetzentwurf für eine Schulnovelle und für eine Änderung der Landesverfassung erarbeiten. Der dort verankerte Bestandsschutz für Hauptschulen soll gestrichen werden. Die neuen Gesetze sollen im Herbst verabschiedet werden. An diesem Mittwoch berät der Landtag über die Schulpolitik.
Die rot-grüne Koalition verzichtet darauf, ihre geplante Gemeinschaftsschule als Regelschule einzuführen. Sie sollte in den Klassen 5 und 6 Unterricht auf Gymnasial-Niveau garantieren und eine eigene Oberstufe erlauben. Zum kommenden Schuljahr dürfen aber zwölf Kommunen dieses Konzept als Modellversuch erproben.
Die CDU verzichtet ihrerseits auf Verbundschulen aus Haupt- und Realschule. Die bestehenden genießen aber, wie die bereits genehmigten Gemeinschaftsschulen, Bestandsschutz. Künftig soll es in NRW neben der neuen Sekundarschule alle übrigen Schultypen weiter geben. „Von Landesseite wird keine Schulform abgeschafft“, erläuterte Röttgen. „Was vor Ort Akzeptanz hat, bleibt.“
Mit dem Kompromiss der Regierung und der größten Oppositionsfraktion habe die Politik den Mut bewiesen, über ein „Sowohl-als-auch“ hinauszugehen und etwas ganz Neues zu schaffen, unterstrich Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). „Es gibt keine Verlierer. Gewinner sind die Kinder.“
CDU-Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann betonte, das Gymnasium behalte mit dem Konsens seine Bedeutung als abiturvorbereitende Schule. Für die künftigen Sekundarschüler soll der Weg zum Abitur durch Kooperation mit der Oberstufe eines Gymnasiums oder Berufskollegs gesichert werden.
Die CDU habe in den Verhandlungen durchgesetzt, dass es - anders als bei den Gemeinschaftsschulen - keine Privilegierung für die Sekundarschule geben werde, sagte Laumann. Sie werde weder mit zusätzlichen Lehrerstellen noch kleineren Klassen bevorzugt.
Lob gab es von Kommunal- und Lehrerverbänden sowie Gewerkschaften. Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE NRW), Udo Beckmann, sprach von einem „historischen Tag“ nach mehr als 40 Jahren erbittertem Streit. „Der Konsens ist bundesweit einmalig“, meinte der Vorsitzende des NRW-Philologenverbandes Peter Silbernagel. DGB und GEW würdigten die offenen Bildungswege. Der Städte- und Gemeindebund hob hervor, der Konsens biete den Kommunen mehr Flexibilität und Aussicht auf Rechtssicherheit.