Unterricht mit Behinderten wird teuer - Kommunen drohen mit Klage
Behinderte und nicht behinderte Kinder in einer Schule: Das ist erwünscht - aber auch teuer. Die Kommunen rechnen es vor. Sie verlangen Geld vom Land.
Düsseldorf (dpa). Die nordrhein-westfälischen Kommunen drohen mit Klage, falls das Land sie auf den Kosten für gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Schüler sitzenlässt.
Bis zum Jahr 2020 müssten die Städte und Gemeinden des Landes für diese Aufgabe insgesamt eine dreistellige Millionensumme aufwenden, sagten Vertreter der kommunalen Spitzenverbände am Montag in Düsseldorf. Sie stellten ein Gutachten von Bildungs- und Finanzwissenschaftlern vor, die die Kosten der sogenannten Inklusion an Fallbeispielen errechnet haben.
Demnach kommen allein auf die Stadt Essen bis 2020 mindestens 18 Millionen Euro an Investitionskosten zu - bei höheren pädagogischen Qualitätsstandards sogar mehr als 40 Millionen. Hinzu kämen jährlich 12 Millionen Euro an laufenden Kosten. Im Kreis Borken wären demnach nur für gemeinsamen Unterricht an Grundschulen mindestens drei Millionen Euro an einmaligen Investitionen nötig plus vier Millionen Euro laufende Kosten jährlich.
Die rot-grüne Landesregierung will ab dem Schuljahr 2014/15 schrittweise einen Rechtsanspruch behinderter Kinder auf Unterricht in einer Regelschule einführen. Aus Sicht der Kommunen müsste das Land für die Folgekosten des Gesetzes aufkommen, sobald es verabschiedet ist. Die Landesregierung sieht die Inklusion dagegen nicht als neue, vom Land verordnete Aufgabe, sondern als einen Prozess, den die Kommunen schon seit 30 Jahren gestalten.
Die kommunalen Spitzenverbände berufen sich hingegen auf die Bagatellgrenze im Konnexitätsausführungsgesetz. Demnach steht den Kommunen ein finanzieller Ausgleich für neue oder wesentlich veränderte Aufgaben zu, deren Kosten landesweit über 4,5 Millionen Euro liegen. Das sei eindeutig der Fall, argumentierten die Spitzenverbände. Die Sprecherin des Schulministeriums äußerte Zweifel, dass sich die berechneten Kosten zwingend aus dem Gesetzentwurf ergeben.
Er sehe nur einen schrittweisen Ausbau des ohnehin schon bestehenden schulischen Angebots für behinderte Kinder vor. Zudem enthalte der Entwurf Ausnahmeregelungen für Kommunen, die die Voraussetzungen für inklusiven Unterricht nicht erfüllen können. Es werde keinen Rechtsanspruch auf Unterricht in einer bestimmten Schule geben. Nicht jede Regelschule müsse also gleich barrierefrei werden; auch Schwerpunktschulen könnten eingerichtet werden.
Die Landesregierung investiere in zusätzliche Lehrerstellen für die Inklusion: „Von Abwälzen der Kosten auf die Kommunen kann also keine Rede sein.“ Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, Roland Schäfer, nannte es nicht nachvollziehbar, warum die Landesregierung den Kommunen einerseits mit einem Stärkungspakt unter die Arme greife, wenn sie ihnen andrerseits solche Lasten aufbürde.
Auch der Vorsitzende des Städtetags NRW, Norbert Bude, unterstrich: „Wir können nicht mehr über Kompromisse reden.“ Das Land müsse sich klar zu seiner finanziellen Verantwortung bekennen. Ebenso äußerten sich die Landtagsfraktionen von CDU und FDP. Die Grünen sehen in dem Gutachten „Ungereimtheiten“, wollen die Einzelheiten aber prüfen.
Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hält es für möglich, dass bis zum Schuljahr 2017/18 jedes zweite Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule besuchen könnte. Das wären doppelt so viele wie jetzt. Die Quote soll aber nicht verordnet werden. Elternverbände forderten in einer Mitteilung „ein Ende des unwürdigen Stellungskrieges zwischen Land und kommunalen Spitzenverbänden“.
Jetzt müsse ein Ausgleich ausgehandelt werden. „Betroffene Eltern haben kein Verständnis für dieses Hickhack um die Grundrechte von Kindern.“