Ministerin will kurzen Prozess machen

Bürger sollen sich in Zukunft gegen überlange Gerichtsverfahren wehren können. Der Staat soll bei unangemessener Verzögerung haften.

Berlin. Es könnte der längste Prozess in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen sein: Im Jahr 2006 verdonnerte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland zur Zahlung von 8800 Euro an einen verzweifelten unterfränkischen Bauern. Zu dem Zeitpunkt wartete der Mann bereits 17 Jahre auf eine Entscheidung des Landgerichts Würzburg über seine Klage gegen einen Bebauungsplan. Einschließlich früherer Verfahren dauerte der Rechtsstreit sogar schon 35 Jahre an. Doch auch nach dem Straßburger Urteil tat sich erstmal nichts. Der Kläger starb schließlich Anfang 2009 hochbetagt - das Urteil des Landgerichts im Herbst ging dann an seinen Sohn.

Geht es nach Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), sollen solche Fälle in Zukunft nicht mehr vorkommen. Sie legte nun ein Gesetzentwurf vor, der vorsieht, dass sich Bürger besser gegen zu lange Gerichtsverfahren und Ermittlungen wehren können. Bislang können sie zwar zur Dienstaufsichtsbeschwerde greifen oder eine Verfassungsbeschwerde verfolgen. Der eine Weg bringt selten etwas, der andere dauert lange und ist kompliziert.

Wenn Richter und Staatsanwälte zu langsam arbeiten, sollen die Bürger zunächst eine Verzögerung rügen können und dann - wenn sich nach Ablauf einer Frist immer noch nichts getan hat - eine Entschädigung vom Staat fordern. Die soll laut Gesetzentwurf für jeden zerronnenen Monat hundert Euro betragen. Zuständig für die Entschädigungsklagen sollen die Oberlandesgerichte sein. Bis Ende 2009 gab es insgesamt 54Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg gegen die Bundesrepublik wegen überlanger Verfahren - im laufenden Jahr sind es schon vier. Bei einem Urteil im Januar ging es um ein Sorgerechtsverfahren, das über fünf Jahre gedauert hat. Ein zweiter Fall zu Verwaltungsgerichtsverfahren über die Wertminderung von Grundbesitz in Wiesbaden hat 13 Jahre bis zu einer Justizentscheidung gebraucht.

Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention hat jeder einen Anspruch auf Rechtsschutz in einer angemessenen Zeit. Der jetzt vom Bundesjustizministerium vorgelegte Gesetzentwurf liegt nun erst einmal den Ländern und den Verbänden zur Stellungnahme vor. Mit dem Entwurf reagiert die Justizministerin auf das "Ohnmachtsgefühl", das viele Kläger empfinden, wenn Justitias Mühlen zu langsam mahlen. Im Durchschnitt stehen deutsche Gerichte aber gar nicht so schlecht da, wie auch Leutheusser-Schnarrenberger sagt. So dauerten Bußgeldverfahren an Amtsgerichten im Jahren 2008 knapp drei Monate. Bei Familiensachen waren es acht Monate.