Merkels 10-jähriges Jubiläum: Vom „Mädchen“ zur Kanzlerin

Vor zehn Jahren übernahm Angela Merkel den CDU-Vorsitz. Hat sie die Partei verändert?

Berlin. Die Karriere, die am 10.April 2000 in der Essener Messe so richtig Fahrt aufnahm, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Zehn Jahre ist Angela Merkel jetzt CDU-Chefin. "Schon?", fragt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (SPD). So ergeht es vielen. Merkel hat es allen gezeigt. Ihr Biograph Gerd Langguth spricht vom "Musterschüler-Syndrom": Selbstbestätigung durch Erfolg.

Am Anfang steht eine Illoyalität: ein Artikel in der FAZ vom 22. Dezember 1999, in dem sie, damals Generalsekretärin, die CDU auffordert, laufen zu lernen - ohne Helmut Kohl. Sie zieht eine Brandmauer ein, um die CDU vor der Spendenaffäre des Altkanzlers zu schützen. Illoyal ist sie in erster Linie gegenüber Wolfgang Schäuble, dem Vorsitzenden. Merkel erzählt ihm nichts von dem Artikel, der später wie eine Bombe einschlägt, weil sie seine Antwort ahnt und weil sie ihm ohnehin nicht zutraut, dass er die Ära Kohl bewältigt.

In der bedrohlichen Lage wird sie zur Trümmerfrau der CDU. Als sie Monate später Schäuble beerbt, ist Merkel im Grunde alternativlos. Der Hesse Roland Koch, der an der Reihe wäre, hat eine eigene Spendenaffäre zu überstehen. Niemand hatte Merkel auf der Rechnung, Frau, ostdeutsch, protestantisch, erst seit Oktober 1990 CDU-Mitglied, mit dem Parteileben fremdelnd, ohne Netzwerk und Hausmacht.

Was würde der CDU ohne Merkel fehlen? Unter ihr habe sich eine "sanfte Revolution" vollzogen, sagt Langguth. In der Stammzellen-Frage, beim Thema Integration, in der Familienpolitik. Das Reformprogramm des Leipziger Parteitags hätte auch Koch zustande gebracht. Es sind die Kurskorrekturen, die gerade Merkel durchsetzen kann.

Man nennt sie "Kohls Mädchen". So hat sie in seinem Kabinett angefangen. Und gerade heute fallen die Gemeinsamkeiten auf. Neigt sie als Kanzlerin nicht dazu, abzuwarten, auszusitzen? Genauso markant sind indes die Unterschiede. Kohl war ein Parteimensch durch und durch. Unter Merkel ist das Parteileben eingeschlafen. "Kohl konnte im gleichen Atemzug die Vertriebenen und die Europa-Begeisterten ansprechen. Er hatte die größere Integrationsfähigkeit. Das geht Merkel absolut ab", so Langguth. Auch hält der Wissenschaftler sie für eine "Medienkanzlerin" - im Unterschied zu Kohl.

Zweimal steht sie kurz vor dem Scheitern. Einmal, 2002, ist der Putsch beschlossene Sache. Sie soll gedemütigt und der Bayer Edmund Stoiber ihr als Kanzlerkandidat vorgezogen werden. Sie kriegt Wind davon, fährt zu Stoiber und trägt ihm die Kandidatur an. Der Putsch bleibt aus, sie behält die Fäden in der Hand. Genauso kurzentschlossen reagiert sie am Wahlabend 2005, als Gerhard Schröder sie im Fernsehen verhöhnt. Sie weiß: Das kann sich die CDU nicht bieten lassen. Merkel lässt sich schnell zur Fraktionschefin wählen und demonstriert, dass sie kein Auslaufmodell ist. Das Ende vom Lied: Schröder muss das Feld räumen, Merkel wird Kanzlerin.

Seit sie regiert, sitzt Merkel in der CDU fest im Sattel und ist nahe bei sich. Da kann sie sein, was sie mag: eine pragmatische unideologische Problemlöserin mit hohem Gespür für das Notwendige und Populäre. Menschen, die ihr nahe stehen, wünschen Merkel für die nächsten Jahre nur noch eines: Dass sie irgendwann den richtigen Abgang finden möge. In der Politik noch so ein Ding der Unmöglichkeit.