Streitgespräch über Afghanistan: Krieg gegen ein Volk oder Aufbauhilfe?

Ein Streitgespräch zwischen dem CDU-Verteidigungsexperten Willy Wimmer und dem SPD-Abgeordneten Niels Annen.

Berlin. Ex-Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer (CDU) fordert den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Der SPD-Linke Niels Annen widerspricht.

Herr Annen, Herr Wimmer, verkennt die deutsche Politik die dramatischen Dimensionen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr?

Annen: Ich bin jetzt im Abstand von einem Jahr drei Mal insgesamt mehrere Wochen in Afghanistan gewesen und habe feststellen müssen: Die Lage hat sich erheblich verschlechtert. Das hat auch mit dem forcierten Anti-Terror-Kampf der amerikanischen Truppen zu tun. Die Kämpfe im Süden und Osten des Landes nehmen zu. Das wirkt sich zunehmend auf die bislang stabilen Provinzen im Norden aus, wo sich die Bundeswehr befindet.

Wimmer: In Afghanistan herrscht Krieg, und die Bundeswehr ist in Afghanistan. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen. Ich befürchte, dass die von den Amerikanern betriebenen Operationen an der afghanisch-pakistanischen Grenze die Lage weiter eskalieren lassen. Die USA haben aus ihrem Einsatz klammheimlich einen Krieg gegen ein Volk gemacht, nämlich die Paschtunen. Wenn es so weitergeht, ziehen uns die Amerikaner in einen Konflikt mit der Atommacht Pakistan. Das halte ich für unverantwortlich. Die deutschen Soldaten sind keine Handelsware für US-Generäle.

Annen: Ich bin mit Ihrer Beschreibung nicht einverstanden. Im Süden und Osten des Landes wird Krieg geführt, daran ist die Bundeswehr aber nicht beteiligt. Die Amerikaner betrachten Afghanistan als ein Element ihres Anti-Terror-Kampfes. Im Gegensatz dazu dient der Einsatz der Bundeswehr dem Wiederaufbau.

Warum müssen junge deutsche Soldaten im fernen Afghanistan sterben?

Wimmer: Wir haben es mit einer Sinnentleerung des Isaf-Mandates zu tun. Das Mandat, dem der Bundestag zugestimmt hat, sollte der Stabilisierung des Landes dienen, nicht einem Krieg, den die USA vorantreiben. Ich halte es für eine Tragik, dass wir die Paschtunen mit dem Kampfbegriff Taliban belegen. Dieses Millionen-Volk will keine Fremdherrschaft auf seinem Territorium. So lassen sich auch die vielen Anschläge erklären.

Spielt man Terroristen in die Hände, wenn man nach Anschlägen den Abzug der Bundeswehr fordert?

Wimmer: Das ist eine Schere im Kopf! Es sind auch die zivilen Verluste bei so genannten Anti-Terror-Aktionen der USA, die Kämpfer gegen uns produzieren. Dadurch gerät die Bundeswehr in das Fadenkreuz derjenigen, die Blutrache wollen.

Annen: Der Bundestag muss diskutieren können: Bleiben wir in Afghanistan oder nicht? Wir dürfen uns keine Tabus auferlegen, aber wir sollten uns auch nichts aufzwingen lassen. Ein Teil der Aufständischen ist sehr gut vernetzt und fügt sich ein in eine Strategie des internationalen Terrorismus. Diese Leute lesen unsere Zeitungen und wissen, wann bei uns ein Mandat verlängert wird.

Wie lange sollte die Bundeswehr nach Ihrer Einschätzung in Afghanistan bleiben?

Annen: Wir müssen eine verantwortliche und zuverlässige Politik betreiben. Vor Ort habe ich von Entwicklungshelfern gehört: Wenn ihr morgen abzieht, gefährdet ihr alles, was ihr selbst aufgebaut habt. Es gibt doch Erfolge: Es gehen wieder Mädchen in Afghanistan zur Schule. Wir haben ein gewähltes Parlament und einen gewählten Präsidenten. Ich bin dafür, dass wir die Voraussetzung für einen Abzug schaffen - beispielsweise durch eine bessere Ausbildung der afghanischen Polizei. Wir wollen nicht auf ewig in Afghanistan bleiben, aber wir können jetzt noch keinen Zeitpunkt für den Abzug nennen. Wimmer: Die Bundeswehr sollte besser heute als morgen abziehen. Ich war von Anfang an gegen diesen Einsatz und fühle mich durch die Entwicklungen bestätigt. Die Amerikaner ziehen uns mit ihrer verhängnisvollen Politik immer tiefer in diesen Sumpf. Wir können dabei wählen: zwischen Pest und Cholera. Man kann davon ausgehen, dass die USA Afghanistan als fortwährenden Truppenübungsplatz in Gang halten wollen. Daran können wir uns nicht beteiligen.