Wechsel: Flieht Oettinger nach Brüssel?
Es gibt viele Spekulationen, warum der Regierungschef Baden-Württembergs EU-Kommissar wird.
Berlin/Stuttgart. Am Samstagmittag platzte die politische Bombe, doch gebastelt wurde sie schon vor mehr als einer Woche: Nach der traditionellen Kaminrunde der CDU-Granden in Berlin saß Kanzlerin Angela Merkel unter anderem noch mit dem Baden-Württemberger Günther Oettinger zusammen.
Ein Thema der kleinen Runde: Wer wird deutscher EU-Kommissar? Nun steht fest: Oettinger soll Stuttgart verlassen und nach Brüssel gehen.
Ausgerechnet Oettinger setzt sich seit langem dafür ein, dass Deutsch offizielle Arbeitssprache in der EU wird. Dabei werben die Baden-Württemberger immer damit, alles zu können - "außer Hochdeutsch". Nur: Warum soll Oettinger nach Brüssel? Hat er etwas ausgefressen, oder ist er der beste Kandidat?
Merkel wolle den seit längerem angeschlagenen Regierungschef wegloben, um in Baden-Württemberg einen Neuanfang zu ermöglichen, heißt es. Schon lange gilt Oettinger im Südwesten als Unsicherheitsfaktor. Seine Sympathiewerte sind im Keller. Kurz vor der Bundestagswahl hält nach einer Umfrage jeder zweite im Ländle den 56-Jährigen für einen schlechten Ministerpräsidenten.
In der Bundes-CDU nehmen sie ihm sein Eintreten für eine höhere Mehrwertsteuer vor der Wahl übel. In Stuttgart wird über die Art seines Engagements für Porsche im Machtkampf mit VW gemosert. Auch scharrt CDU-Landtagsfraktionschef Stefan Mappus (43) mit den Hufen. Er bewirbt sich um die Nachfolge als Regierungschef.
Schon am Dienstag deutete sich an, dass etwas im Busch ist. Auf die Journalisten-Frage, ob er noch lange im Amt sei. Mappus habe da etwas angedeutet. Der Regierungschef antwortete mit hochrotem Kopf: "Nein!" In der CDU machten daraufhin Gerüchte die Runde, die Kanzlerin führe etwas im Schilde. Da das Verhältnis zwischen beiden als belastet gilt, schwante vielen in der Südwest-CDU Böses.
Als erste Infos über seinen Wechsel durchsickerten, sprach Oettinger gerade auf einem Bezirksparteitag in Albstadt. Zwar ging ein Raunen durch die Reihen, doch der CDU-Landeschef führte seine vorbereitete Rede zu Ende. Danach machte er sich wortlos auf den Weg nach Berlin. Die Südwest-SPD spricht von einer "Flucht nach Brüssel". "Die zentrale Qualifikation für den Job ist, dass ihn alle loswerden wollen", sagt der Generalsekretär der Landes-SPD, Peter Friedrich.
Von Oettingers Abschied aus Baden-Württemberg erhofft sich die CDU mehr Verlässlichkeit und Durchschlagskraft in Berlin. Was die Oettinger-Nachfolge angeht, heißt es aus Berlin, dass man nicht in die Angelegenheiten der Südwest-CDU einmischt. Soll heißen: freie Fahrt für Mappus.
Spannend wird nun sein, wie sich Oettinger als Kommissar schlägt, und ob er sich von Merkel an die Kandare nehmen lässt. Beim so genannten VW-Gesetz war er auf der Seite der EU und gegen Merkel: Er machte sich für Porsche stark, damit Niedersachsen sein gesetzlich gesichertes Veto-Recht bei VW verliert.