Wie sich Weltpolitik inszeniert

US-Präsidenten: Berlin und die Symbolkraft seiner Bilder: Kennedy 1963 vor dem Schöneberger Rathaus, Ronald Reagan 1987 und Bill Clinton 1993 vor dem Brandenburger Tor.

Düsseldorf. Es war ein Feiertag mitten in der Woche: Schüler und Lehrer hatten schulfrei, die Müllabfuhr, die Finanzbeamten und mit ihnen der gesamte öffentliche Dienst erhielten einen Tag Sonderurlaub. Und so standen dann am 26. Juni 1963 Hunderttausende vor dem Schöneberger Rathaus und an den Straßen im Westen Berlins, als John F. Kennedy als erster US-Präsident zwei Jahre nach dem Mauerbau die geteilte Stadt besuchte. Im offenen Wagen mit Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt - zwischen denen es zuvor einen absurden Streit darüber gegeben hatte, wer direkt neben dem US-Präsidenten sitzen dürfe - ließ sich Kennedy feiern. Um dann vor dem Schöneberger Rathaus jenen Satz zu sagen, den noch heute jedes Kind kennt: "Ich bin ein Berliner."

John F.Kennedy am 26. Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus

Im Kontext der Rede allerdings verändert sich der Sinn dieses Satzes. Kennedy sagte wörtlich: "Vor 2000 Jahren war der stolzeste Satz: Civis Romanus sum (Ich bin Bürger Roms). Heute, in der Welt der Freiheit, ist der stolzeste Satz: Ich bin ein Berliner." Nur den letzten Teil sprach Kennedy unter dem Jubel der Menge auf Deutsch. Im Amtszimmer von Brandt hatte Kennedy zuvor - von einem Zettel in Lautschrift ablesend - den deutschen Satz und die lateinische Floskel geübt.

Wichtiger aber wurde, was Kennedy vor geladenen Politikern anschließenden in der Freien Universität sagte: Man müsse "den Tatsachen ins Auge sehen", sich "von der Selbsttäuschung freimachen" und aufhören, "in bloßen Schlagworten zu denken". Adenauer saß versteinert dabei, Brandt klatschte. Es war die Geburtsstunde der "Neuen Ostpolitik", nur vier Wochen später prägte Brandts Mitarbeiter Egon Bahr die Formel "Wandel durch Annäherung". Die amerikanische Besatzungsmacht, so sah es der spätere Kanzler Brandt, hatte durch Kennedy ihr Okay für diese Politik gegeben, die neun Jahre später, 1972, zum Grundlagenvertrag mit der DDR führte.

Ronald Reagan am 12. Juni 1987 vor dem Brandenburger Tor

Am 12. Juni 1987 zimmerten Arbeiter in einigem Abstand vom Brandenburger Tor ein schweres Holzgerüst in beachtlicher Höhe. Schon in der Nacht zuvor hatten Trupps die mit Anti-Reagan-Slogans bemalte Westseite der Mauer weiß überstrichen und mit der Parole "Welcome Reagan" versehen. Die gesamte Aktion war von den PR-Mitarbeitern des US-Präsidenten präzise geplant: Die Kameras sollten die Illusion vermitteln, Ronald Reagan halte seine Rede unmittelbar vor dem Brandenburger Tor. Die Bilder belegen, dass die Aktion erfolgreich war. Allein dass die Pferde der Quadriga dem Präsidenten ihren Hintern entgegenstreckten, das konnten Reagans PR-Abteilung nicht ändern.

Zwei Sätze in der Rede des US-Präsidenten waren es dann, die den Eintrag in die Geschichtsbücher gefunden haben. Reagan sprach dabei den sowjetischen Präsidenten direkt an: "Mr. Gorbatschow, open this gate! Mr. Gorbatschow, tear down this wall!" Mr. Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder.

War der Auftritt Reagans allein schon eine rhetorische Meisterleistung, so entfalteten diese beiden Sätze ihre historische Prägekraft vor allem deshalb, weil Gorbatschow das damals für unmöglich gehaltene zwei Jahre später tatsächlich tat: Am 9. November 1989 fiel die Mauer.

Bill Clinton am 12. Juli 1994 vor dem Brandenburger Tor

Und so kam es, dass sieben Jahre später Reagans Nachfolger Bill Clinton tatsächlich zu Fuß durch das Brandenburger Tor gehen konnte, nun fotografiert von der Ostseite mit der Quadriga in der richtigen Stellung. Clintons damals als "historisch" gefeierte Re-de ist allerdings seinen Biographen kaum noch eine Zeile wert, den Text muss man sich von der Website der US-Botschaft herunterladen. Clintons Team ließ damals verbreiten, die Rede ihres Chefs stehe in der Tradition Kennedys. Die Botschaft des damaligen US-Präsidenten fand sich in drei kurzen Sätzen: "Nichts darf uns aufhalten. Alles ist möglich. Berlin ist frei."

Und Morgen kommt also Barack Obama. Kein Präsident, nur ein Wahlkämpfer. Er wird vor der Siegessäule sprechen, aber auch seine PR-Leute werden es so einzurichten verstehen, dass die Bilder von ihm mit dem Brandenburger Tor um die Welt gehen. Natürlich wissen wir schon zuvor, dass auch diese Rede wieder "historisch" sein wird. Denn nicht was Obama sagt, ist entscheidend, sondern allein, wo er es sagt. US-Politik in Berlin ist immer Weltpolitik. Und dass die Inszenierung ein Erfolg wird, dafür steht die schon allein die Parole seiner Propaganda-Abteilung: "Yes, we can!"