Elterninitiativen wollen Ideale der freien Erziehung retten
München (dpa/lby) — Ziemlich antiautoritär ging es in den Kinderläden der 60er und 70er Jahre. Regeln waren verpönt zu. Das hat sich stark geändert. Aber viele der rund 7500 Elterninitiativen in versuchen auch heute noch, einige Ideale der „freien Erziehung“ zu leben.
Betreuungsplätze fehlen. Deshalb sind viele berufstätige Eltern froh, wenn sie ihre Kinder einfach „nur unter“ haben. Hochgesteckte Ansprüche an Erziehung müssen dann etwas heruntergefahren werden. Daran wird wohl auch der Rechtsanspruch auf Betreuung für unter Dreijährige ab August erst einmal nichts ändern — laut Städtetag fehlen bundesweit noch mehr als 100 000 Plätze.
Umso begehrter sind individuelle Einrichtungen wie das „Kinderhaus Lochhausen“. In der Elterninitiative im Münchner Westen versuchen engagierte Erzieher Geborgenheit zu geben; der eigene Koch bereitet frisches Essen aus einer professionellen Großküche zu — all das in einer restaurierten Villa am Wald mit großem Garten, in dem die Kinder im Schatten alter Bäume herumtoben.
Entstanden ist das Kinderhaus aus einer Hippie-Kommune Anfang der 70er Jahre. Einige Ideale der „freien Erziehung“ wurden bewahrt, wenn auch mit vielen Abstrichen und Veränderungen. „Der Kreativität sind heute auf jeden Fall Grenzen gesetzt“, sagt die Geschäftsführerin Petra Mischo.
Trotzdem gibt es noch die Besonderheiten einer Elterninitiative wie das mehrstöckige Baumhaus mit Hängebrücke, für das Eltern und Kinder unter Leitung eines Holzarchitekten wochenlang gesägt, gehobelt und gehämmert haben, um die Kosten um 4000 Euro zu senken. Mit Blick auf gesetzliche Auflagen wie Baugenehmigung oder Fallschutz meint Mischo: „Dieses Gemeinschaftsprojekt bleibt aber eine Ausnahme.“
„Die bürokratischen und sonstigen Anforderungen an Elterninitiativen sind in den letzten Jahren deutlich gewachsen“, erklärt Norbert Bender von der Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen (BAGE). „Aber gerade durch die Mitbestimmung der Eltern unterscheiden sich die Elterninitiativen nach wie vor deutlich von vielen anderen Kita-Einrichtungen.“
Allerdings hat sich die Rolle der heute meist berufstätigen Eltern im Laufe der Zeit auch verändert. „Wir haben festgestellt, dass wir ihnen die vielen Tätigkeiten nicht mehr zumuten können“ sagt Eveline Stopfer von den „Campuskindern“ in Regensburg. Daher gibt es heute mit ihr eine Geschäftsführerin und einen Verein als Träger der Uni-Krabbelstube — genau wie im Kinderhaus.
In den Anfängen vor mehr als 30 Jahren sah das noch anders aus: „Als sich ein paar Studenten überlegten, eine Krabbelstube für ihre Kinder ins Leben zu rufen, war das für damalige Zeiten absolut exotisch“, sagt Stopfer. Heute sind die Campuskinder in Regensburg wie auch in Passau fester Bestandteil des Uni-Alltags.
Bei den „Kleinen Strolchen“ in Bamberg sind dagegen die Eltern als Träger der fast 20 Jahre bestehenden Eltern-Kind-Initiative immer noch fest in der täglichen Betreuung eingeplant. Die Elternmitarbeit ist im Konzept verankert und Bedingung eines Förderprogramms. Auch im Waldkindergarten in Cham ist das Engagement der Eltern oberstes Gebot. „Wir müssen uns die Arbeit teilen, sonst schafft es keiner“, sagt Vorstand Anja Linhart. Der Lohn dafür seien oft enge Freundschaften zwischen Erzieherinnen und Eltern über die Kindergartenzeit hinaus.
Noch heute ist im Münchner Kinderhaus der Geist der „freien Erziehung“ zu spüren. Über dem Toberaum steht: „Kinder wollen selbst die Welt entdecken, auch wenn sie gefährlich ist, wir vertrauen ihnen.“ Der Unterschied zu früher? Die Kinder sollen sich frei entwickeln, aber mit Regeln. Und so geht es zu wie in jeder anderen Kita auch: Im Stuhlkreis muss sich melden, wer etwas sagen will. Aus dem antiautoritären Kinderladen ist eine moderne Elterninitiative geworden.