OECD-Bericht: Mädchen als Mathe-Muffel
London (dpa) - Mädchen sind besonders in Deutschland noch oft Mathe-Muffel - und berauben sich damit besserer Karrierechancen. Das ergibt sich aus dem ersten Bildungsbericht zur Chancengleichheit der Geschlechter, den die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Donnerstag (5.
März) in London vorstellte.
Bei der Annäherung an naturwissenschaftlich-technische Berufe gebe es hierzulande noch enorme Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, berichtete OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei einer Vorab-Präsentation des Berichts in Berlin. Deutschland gehöre sogar zu den Ländern mit dem größten Geschlechtergefälle in der OECD bei der Einstellung von 15-jährigen Mädchen und Jungen zur Mathematik.
Dies sei problematisch, da Berufe im mathematisch-technischen und naturwissenschaftlichen Bereich oft „zu den bestbezahlten Karrieren führen“. Immer noch verdienten Männer später „deutlich mehr als Frauen, selbst auf gleichem Bildungsniveau“. Die Entscheidungen über den Karriereweg würden viel früher festgelegt als erwartet - dies sei oft schon bei 15-Jährigen programmiert, die bei PISA getestet wurden.
„Wir dürfen nicht aufhören, unsere Kinder dazu zu motivieren, ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen“, sagte Schleicher. Dabei seien Eltern und Schulen, aber auch Arbeitgeber gefragt. Er verwies auf ein anderes Ergebnis der OECD-Studie, wonach sich im Schnitt 40 Prozent der Eltern eine Karriere ihres Sohnes als Ingenieur vorstellen können, aber nur 15 Prozent für die Tochter. In Südkorea gebe es kaum geschlechterspezifische Unterschiede bei diesen Berufserwartungen.
Gefragt, ob sie mathematische Aufgaben schnell begreifen, antworteten Jungen in Deutschland im OECD-Test viel häufiger mit Ja als Mädchen. Die stimmten eher der Aussage zu, „einfach nicht gut in Mathe“ zu sein - selbst wenn sie im entsprechenden PISA-Test nicht schlechter abgeschnitten hatten. Jungen seien in Mathematik also nicht besser, sondern nur selbstbewusster, sagte der PISA-Experte der OECD.
Am geringsten sind die Differenzen der Studie zufolge in einigen asiatischen OECD-Ländern, wie Schleicher berichtete. Im OECD-Schnitt aber konnte sich nur etwa eines von 20 Mädchen im Alter von 15 Jahren vorstellen, später in einem sogenannten MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) zu arbeiten. Bei den Jungen waren es immerhin rund vier von 20. Bei - oft weniger gut bezahlten - Berufen im Gesundheitswesen sei es genau umgekehrt.
Im vorigen Herbst war auch eine Allensbach-Befragung im Auftrag der Vodafone-Stiftung für Deutschland zu dem Ergebnis gekommen, dass fast 40 Prozent der Mädchen im medizinischen oder sozialen Bereich arbeiten wollen. Fast der Hälfte ist es wichtig, anderen Menschen zu helfen - von den Jungs sahen das nur 21 Prozent so. Indes strebten gut 40 Prozent der Jungen in technische und handwerkliche Berufe.
Laut Studie der Universität Tübingen sehen Mädchen den Nutzen von Mathematik vor allem kurzfristig für die Schule. „Während beide Geschlechter den schulischen Leistungen in diesem Fach die gleiche Bedeutung zumessen, nehmen Mädchen Mathematik als ein eher unattraktives Fach wahr, (...) das sie außerdem für ihre Zukunft als weniger nützlich empfinden“, teilte die Hochschule zu einer Untersuchung mit Daten von 2000 Neuntklässlern an Gymnasien mit. Mädchen könnten „von Maßnahmen profitieren, die den langfristigen Nutzen von Mathematik deutlich machen“.