Das können wir uns schenken

Die Beglückungs-Erwartung ist extrem hoch: Geschenke haben eine lange Geschichte und einen komplexen Hintergrund.

Düsseldorf. Schenken könnte so einfach sein: Zwei Menschen plus ein Päckchen ergibt zwei strahlende Gesichter. Aber warum müssen wir uns dann derart das Hirn über die Weihnachtsgeschenke zermartern? "Schenken ist ein hochkomplexer Vorgang", sagt der Wuppertaler Familientherapeut Gerd Grudzinski. Moralische, ökonomische, psychologische und religiöse Aspekte sind dabei kaum zu trennen.

Zum Fest der Liebe (und auch sonst) schenken wir nämlich keineswegs selbstlos. Wer schenkt, will binden. Sicherlich wolle man jemanden mit einem Präsent glücklich machen - möchte dann aber auch zurückgeliebt werden, sagt Grudzinski. Geschenke dürfen weder zu klein (beschämt den Geber) noch zu teuer sein (beschämt den Empfänger).

Dabei ist die Hierarchie der Gaben klar: Preisschilder werden zwar sorgfältig entfernt, aber das teuerste Geschenk bekommt der Partner, es folgen die Kinder, die Eltern und der Rest der Verwandtschaft. Geldgeschenke sind praktisch, wirken aber kühl: "Insbesondere Jugendliche freuen sich darüber. Es heißt aber auch: Ich weiß nicht viel von dir", erklärt der Therapeut. Status-Geschenke retten das Fest auch nicht immer: "Es ist ein Trugschluss, dass man mit einer Bulgari-Uhr nichts falsch machen kann." Und manches Geschenk sagt mehr über den Schenkenden, als ihm eigentlich lieb sein dürfte: Etwa wenn sich die Gattin ein IPhone wünscht, aber Dessous bekommt.

Die Fakten zum Fest sprechen eine klare Sprache. 75 Milliarden Euro setzte der deutsche Einzelhandel 2008 im Weihnachtsgeschäft um. Dabei ist der Geschenke-Kauf kein Zuckerschlecken. In der Londoner Oxfordstreet werden Fußgänger derzeit bis zu 114 Mal pro Stunde angerempelt, Blutdruck und Puls steigen signifikant. Auch in deutschen Fußgängerzonen liest man in den Mienen tütenbepackter Passanten alles andere als ein "Jauchzet, frohlocket".

Eine Erfindung der Neuzeit ist das Schenken aber nicht. Anthropologen sagen sogar, erst durchs Schenken werde der Mensch zum Menschen. Schon die Neandertaler sollen einander selbst gemachten Schmuck überreicht haben. Im Mittelalter hat der Adel das Schenken voran getrieben. Unter Fürsten galt es als unfrommer Geiz, Reichtum einfach anzuhäufen. Wer seine Macht demonstrieren wollte, verteilte üppige Geschenke an Gäste und Gefolge.

Die englische Königin Elizabeth I. wusste diese gesellschaftliche Verpflichtung gnadenlos zu nutzen. Missliebige Lords suchte sie mit ihrem ganzen Hofstaat auf - und reiste erst ab, wenn dessen Verköstigung den Gastgeber ruiniert hatte. Als das Bürgertum im 19.Jahrhundert an Wohlstand zulegte, durfte es auch anWeihnachten üppiger zugehen.

Früher waren Geschenke vor allem nützlich. Man bekam, was einem fehlte. Es reichten Küchenmaschinen für Mutti und SOS (Socken, Oberhemd, Schlips) für Vati. Heute sind Schränke und Schubladen meist prall gefüllt. Deshalb muss es etwas ganz Besonderes, ganz Individuelles sein. "Die Beglückungs-Erwartung ist heute so hoch, dass Enttäuschungen programmiert sind", sagt der Wuppertaler Therapeut.

Wen wundert es da, dass laut einer gestern veröffentlichten Umfrage für die "Apotheken-Umschau" fast jeder Fünfte Weihnachten am liebsten ganz abschaffen würde: Zu viel Stress. Eine Lösung ist das nicht, weil es im ungünstigen Fall einseitige Überraschungen nach sich zieht: "Ach, ich habe doch eine Kleinigkeit für dich."

Gerd Grudzinski sieht die Lage an der Geschenkefront dennoch nicht dramatisch: "Unsere Zeit ist oberflächlicher geworden, aber nicht kälter. Der Bedarf an Wärme und Innigkeit ist meiner Erfahrung nach eher noch höher als früher." Und er hat auch einen Tipp: "Ein Geschenk ist dann ein gutes Geschenk, wenn man merkt, dass sich jemand Gedanken gemacht hat." Noch ist Zeit.