Genuss kommt ohne Zusatzstoffe aus

Stuttgart (dpa/tmn) - Schinken, der auf der Zunge zergeht. Alte Kartoffelsorten, deren Anbau mühsam ist: Wer bei Lebensmitteln Wert auf Qualität, besondere Aromen und handwerkliche Produktion legt, kann sich an einem Begriff orientieren - er lautet „Slow Food“.

Birnenschaumwein aus Hohenlohe, Lavendelhonigkuchen aus der Provence, Olivenkonfitüre aus Sizilien: Wer sich für solche Delikatessen interessiert, ist bei der Genussvereinigung Slow Food richtig aufgehoben. Sie hat sich dem Ziel verschrieben, kulinarische Traditionen zu bewahren, die Vielfalt bedrohter Tierrassen und Pflanzenarten zu erhalten und das Genießen mit allen Sinnen zu fördern. Auf der Messe Slow Food (14. bis 17. April) in Stuttgart lässt sich beobachten, was das genau bedeutet.

Arnd Müller zum Beispiel betreibt bereits in der neunten Generation eine Schinkenräucherei in Apen im niedersächsischen Ammerland. „Ich produziere noch wie mein Urgroßvater vor 100 Jahren“, erzählt er. Nach 29 Monaten Reifezeit sind seine Schinken von Bunten Bentheimer Schweinen auf der Zunge so zart wie Butter.

An das Fleisch lässt Müller nur Salz und Rauch - und das auch nur zum Konservieren. Durchschmecken soll das Raucharoma nicht; es diene lediglich dazu, Schimmelbildung zu vermeiden. „Würzen muss man nur, was von allein nicht schmeckt“, meint Müller und bringt damit auf den Punkt, was den Kern der Slow-Food-Idee ausmacht: Lebensmittel sollen gut, sauber und fair sein. Zusatzstoffe, die das Verarbeiten erleichtern und den Geschmack beeinträchtigen, sind verpönt. Handwerkliche und regionale Herstellung wird groß geschrieben.

„Wir wollen das Verständnis fördern, wie Lebensmittel erzeugt werden“, erklärt Ursula Hudson, Vize-Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Nicht nur das Wissen der Verbraucher soll vermehrt werden - auch die Vielfalt auf dem Teller will die ursprünglich aus Italien stammende Genussvereinigung erhalten. So werden vom Aussterben bedrohte Tiere wie das Rhönschaf, Kartoffelsorten wie das Bamberger Hörnla oder Gerichte wie die einst im Bergischen Land verbreitete Burger Brezel auf der „Arche des Geschmacks“ versammelt. Regionale Slow-Food-Gruppen, sogenannte Convivien, kümmern sich besonders um den Erhalt dieser lokalen Spezialitäten.

Oft ist der Herstellungsprozess mit viel Aufwand verbunden. Die am Fuße des Südtiroler Bergs Laugen heimischen Laugenrinder zum Beispiel werden als Kälber ausschließlich mit Milch gefüttert. Die älteren Tiere fressen nur frisches Heu und Getreide und verbringen zwei Sommer hintereinander auf der Alm, bevor sie geschlachtet werden, wie Karl Telfser vom der Vertriebsfirma selected food erläutert. In der konventionellen Fleischproduktion sieht das Vieh dagegen selten die freie Natur und wird üblicherweise mit Silage gefüttert.

Auch bei pflanzlichen Nahrungsmittel ist der Aufwand groß. Das Bamberger Hörnla zum Beispiel hat oft mit Schädlingen und Krankheiten zu kämpfen. Es braucht daher viel Pflege und ist schwierig zu ernten - der Ertrag ist niedrig. Doch die Mühe lohnt sich: Kenner loben den delikaten, leicht nussigen Geschmack und die speckige Konsistenz. Das macht es den Slow-Food-Experten zufolge zur Salatkartoffel schlechthin. In Bamberg war es traditionell dem Festtagskartoffelsalat vorbehalten.

Mühsam ist auch so manches, was Mara Spinelli von der Firma Comperior aus der Nähe von Turin in Italien anbietet - wilde Artischocken zum Beispiel. Sie sind etwa so groß wie kleine Champignonköpfe, wachsen ausschließlich in der freien Natur und müssen von Hand gesammelt werden. „Etwa 6 bis 80 Früchte kann man pro Pflanze ernten“, erklärt die Vertriebsleiterin. Viele Stacheln an den Gewächsen erschweren diese Arbeit. Doch der Genuss nach dem Kochen und Einlegen mit Essig, Salz, Olivenöl und Kräutern sei das wert.

„Was mich freut, ist, dass immer mehr Erzeuger sich darauf einlassen, ihre Produktion umzustellen und handwerklicher zu arbeiten“, sagt Ursula Hudson. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Mehr als 400 Aussteller waren in diesem Jahr auf der Slow-Food-Messe vertreten - und alle mussten sich vorher überprüfen lassen. Denn unzulässig sind zum Beispiel gentechnisch veränderte Getreide und Sojaprodukte, industriell hergestellte Backmischungen oder chemische Backmittel. Der Besucherandrang auf der Messe scheint den Bedarf nach solchen ursprünglichen, naturbelassenen Lebensmitteln zu bestätigen.