Kalt erwischt- alles übers Frieren
Zittern: Frauen frieren mehr als Männer, Einsame mehr als sozial Integrierte. Biologische und psychologische Aspekte.
Düsseldorf. Den dramatischsten Kältetod erlitt natürlich der Schauspieler Leonardo DiCaprio in dem Film Titanic: Die Geliebte vor Augen, erfror er in minus zwei Grad kaltem Salzwasser innerhalb weniger Minuten und versank dann bewegungslos in der dunklen Tiefe des Atlantiks. Im Eiswasser hat auch ein Held keine Chance.
Eiskalte Luft dagegen kann er ertragen: In einer Kältekammer etwa können Patienten bei trockener Luft von minus 120 Grad sitzen. In Badehose. Minutenlang. Und sind hinterher schmerzfrei. Denn Kälte kann auch heilen. Die extreme Kälte ist nur zu ertragen, weil die Luft äußerst trocken ist (so wie umgekehrt in der Sauna 100 Grad auch nur bei trockener Luft möglich sind, bei feuchter Luft verbrennt die Haut).
Die Kälte hat einen deutlich schmerzlindernden Effekt - leider nur für etwa eine Stunde. In dieser Zeit allerdings können sich Patienten schmerzfrei vom Krankengymnasten behandeln lassen, was sonst nur unter stärksten Medikamenten möglich ist.
Die Kältekammer könnte übrigens ein uraltes Dogma zum Einsturz bringen: Seit Generationen wärmen sich Sportler vor einem Wettkampf auf. Es könnte sein, dass das genaue Gegenteil richtig ist - zumindest bei Ausdauersportarten. So wurde bei Sportlern, die sich zweieinhalb Minuten in einer Kältekammer aufhielten, eine Leistungssteigerung von bis zu zehn Prozent beobachtet. Die Theorie dahinter: Möglicherweise verschwendet der frierende Körper keine Energie für die Hautdurchblutung. Möglicherweise. Noch ist diese Beobachtung nicht zur Nachahmung empfohlen.
Die Temperaturregulation ist sehr viel komplexer, als ursprünglich angenommen: Wann wir frieren, unterscheidet sich nicht nur zwischen Frau und Mann, sondern auch zwischen Dicken und Dünnen. Das hat zunächst sehr einfache anatomische Gründe: Frauen (und Dicke) haben im Durchschnitt eine dickere Fettschicht und ein günstigeres Verhältnis zwischen Körpervolumen und -oberfläche.
Die optimale Form, die am wenigsten auskühlt, wäre eine Kugel. Je mehr sich etwa ein großer, schlanker Mensch von dieser Form entfernt, je mehr wird er frieren. Ein Punkt für die kleinen Dicken. Unabhängig von der Form haben Männer den Vorteil einer großen Muskelmasse, die auch im Ruhezustand schon Wärme produziert. Dieser Punkt ist wohl der entscheidende dafür, dass Männer weniger frieren.
Tief im Gehirn, im so genannten Hypothalamus, liegt ein körpereigenes Thermostat, das nicht größer ist als ein Fisherman’s Friend. Es entscheidet, ab wann der Körper auf die Außentemperatur reagiert. Der Bereich, in dem der Mensch sich wohl fühlt und weder schwitzt noch friert, ist sehr eng. Diese Wohlfühlzone beträgt weniger als ein Grad: Sobald die Kerntemperatur des Körpers den Sollwert von 37 Grad um ein halbes Grad unterschreitet, friert der Mensch. Wird sie um mehr als ein halbes Grad überschritten, fängt er an zu schwitzen. Ein großer Aufwand für eine immer gleiche Temperatur.
Dabei ist gar nicht klar, warum der menschliche Körper sich ausgerechnet an 37 Grad orientiert. Andere gleichwarme Säugetiere haben eine ganz andere optimale Temperatur: Die Fledermaus hält konstante 31 Grad, der Schnabeligel nur 30, ein Wal immerhin 36,5 Grad. Am anderen Ende hält die Katze eine konstante Temperatur von 39 Grad, die Ziege 40 und die Spitzmaus sogar 42 Grad. Den Rekord halten die Vögel: Das Rotkehlchen hat sogar eine Körpertemperatur von 44,6Grad.
Aber auch wenn es warm ist, kann man frieren - vorausgesetzt, man fühlt sich einsam und isoliert. Die einfache Vorstellung reicht schon aus. Wie in einem Experiment, in dem die Teilnehmer sich an eine bestimmte Situation erinnern sollten. Die eine Hälfte sollte sich eine Situation vor Augen führen, in der sie sich ganz besonders ausgegrenzt fühlte. Die anderen sollten sich an Momente erinnern, in denen sie integriert und geborgen waren. Anschließend sollten die Teilnehmer die Raumtemperatur schätzen. Die "Geborgenen" empfanden den Raum als warm, die "Einsamen" als kalt. Frieren ist offensichtlich mehr als nur die einfache Reaktion auf eine objektiv kühle Umgebung.
So wie bei einer zweiten Studie mit einem Computerspiel. Die Probanden der einen Gruppe wurden von ihren Mitspielern konsequent geschnitten und bekamen einfach den Ball nicht. Die andere Gruppe dagegen war in das virtuelle Spiel integriert. Am Ende durften sich die Teilnehmer eine Erfrischung aussuchen: Kaffee oder Suppe, Apfel, Keks oder Cola. Die ausgeschlossenen Spieler entschieden sich häufiger für ein warmes Getränk, die integrierten für ein kaltes.
Der Volksmund spricht bekanntlich von erkalteter Liebe oder auch von kühl distanzierten Menschen. Und er hat dabei wohl Recht: Einsamkeit fühlt sich kalt an. Aber es geht auch umgekehrt. Wenn Probanden einen heißen Kaffee in der Hand halten, finden sie ihr Gegenüber sympathischer als mit leeren, kalten Händen. Ein starkes Argument für einen gemeinsamen winterlichen Glühwein.