Windpocken: Krank trotz Impfung
Gesundheit: Es gibt keinen dauerhaften Schutz. Experten empfehlen deshalb eine zweite Injektion zum Schutz.
Düsseldorf. Es heißt VZV, hat im Frühjahr Saison und überträgt sich quasi mit dem Wind: Das Varicella-Zoster-Virus löst Windpocken aus, und die Pusteln können derzeit in manchen Schulen für halbleere Klassenzimmer sorgen. Das verunsichert Eltern. Denn viele Kinder sind heutzutage gegen Windpocken geimpft. Seit 2004 gehört die Impfung gegen Windpocken (Varizellen) zur Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch Institutes (RKI).
Und tatsächlich geht die Zahl der Erkrankungen zurück: Um etwa 40 Prozent gesunken ist die Zahl der Windpocken-Infektionen in München in den letzten zwei Jahren, eine repräsentative Zahl, die im Bayerischen Varizellen-Projekt "BaVariPro" mit drei Vierteln aller Münchener Kinderärzte erfasst wird. Im bundesweiten, nicht ganz so dichten Erfassungssystem "Varizellen-Sentinel" (Wachposten) sank die Zahl von mehr als 4000 Neuerkrankungen im Frühjahr 2005 und 2006 auf gut 1500 im April 2008.
Doch mit den steigenden Impfzahlen gibt es nun eine steigende Zahl der Impfdurchbrüche, also der Erkrankungen trotz Impfung. Etwa drei bis fünf Prozent sind es in München, sagt Johannes Liese, Oberarzt am Haunerschen Kinderspital in München. Ein Zusammenhang, der "vollkommen plausibel" sei, erklärt Anette Siedler von der Abteilung Impfprävention des Robert Koch Institutes. Denn keine Impfung biete einen hundertprozentigen Schutz, auch nicht die Varizellen-Impfung. Das sei jedoch kein Nachteil: "Es ist nachgewiesen, dass sie sehr gut gegen schwere Verläufe der Erkrankung schützt. Durchbruchserkrankungen verlaufen in der Regel milder als Erkrankungen bei Ungeimpften." Betroffene Kinder haben also in der Regel weniger Pusteln, weniger Juckreiz, seltener Fieber und eine geringere Ansteckungsfähigkeit.
Die Impfdurchbrüche haben aber eine Debatte über den Langzeitschutz der Impfung entfacht. Im Gegensatz etwa zur Masernimpfung konnte bei der Windpockenimpfung bislang keine lebenslange Immunität erreicht werden. Deshalb empfiehlt das Robert Koch Institut seit Sommer 2008 eine zweite Windpocken-Impfung. "Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Langzeitwirkung der Windpocken-Impfung begrenzt ist", sagt Johannes Liese. "Wie lange der Schutz anhält, wissen wir noch nicht genau." Die Effektivität der Impfung untersucht Liese derzeit in einer fünfjährigen Studie.
Erst die zweite Impfung führt zu einer starken Gedächtnis-Immunantwort und damit zu einer Vervollständigung des Impfschemas. Der Zeitpunkt der zweiten Impfung ist allerdings noch umstritten. Die erste Impfung sollte laut Stiko im Alter von elf bis 14 Monaten erfolgen. Liese empfiehlt die zweite Impfung für die Zeit vor dem Schuleintritt, also mit fünf oder sechs Jahren. So wird es auch in den USA gehandhabt, wo es bereits eine deutlich längere Erfahrung mit umfassenden Windpocken-Impfungen und auch mit zunehmenden Impfdurchbrüchen gibt. Das gilt allerdings nur für die Einzel-Impfung. Kinder, die im Rahmen der Masern-, Mumps-, Röteln-Impfung (MMR) auch die Varizellen-Impfung erhalten (Vierfach-Impfung MMRV), bekommen ohnehin zwei Impfdosen, die zweite im zweiten Lebensjahr. Liese: "Dabei hat der richtige Zeitpunkt für die zweite Masern-Impfung Priorität."
Ähnlich wie bei einer Grippeschutz-Impfung mitten in einer Influenza-Saison kann es übrigens auch bei Windpocken kurz nach der Impfung zu einem Ausbruch kommen: Denn der vollständige Impfschutz besteht erst nach Ablauf von 42 Tagen. Infizieren sich Kinder innerhalb dieser Frist mit dem Varizellen-Wildvirus, werden sie trotz Impfung krank. "Manchmal wird auch in eine bereits bestehende, aber noch nicht erkennbare Infektion hineingeimpft", erklärt Susanne Stöcker, Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, dem Bundesamt für Sera und Impfstoffe. Deshalb könne nicht bei allen "Impfversagern" von einer mangelnden Wirksamkeit des Impfstoffes ausgegangen werden.