Nicht alles glänzt am Zuckerhut: Ein Stadtbummel durch Rio
Rio de Janeiro (dpa/tmn) - „Es gibt keine schönere Stadt auf Erden“, schrieb Stefan Zweig einmal über Rio de Janeiro. Und es stimmt: Die Stadt am Zuckerhut kann wunderbar sein. Doch längst nicht alles glänzt.
Sanft und summend entschwebt die Seilbahn nach oben. Die Dämmerung taucht Rio in ein weiches Abendlicht. Je höher die Gondel steigt, desto ruhiger werden die Passagiere. Der Stadtlärm der Millionenmetropole verebbt. Dafür wird der Blick frei auf den Strand von Botafogo, die schaukelnden Segelschiffe, die angestrahlte Christus-Statue auf dem Corcovado-Berg gegenüber und die Copacabana, wo unaufhörlich Atlantikwellen in ruhigem Rhythmus an den Strand branden. Cidade Maravilhosa - wunderbare Stadt, so heißt Rio. Auf dem Zuckerhut begreift man am besten warum.
Über 40 Millionen Menschen haben die Seilbahn zu Rios Wahrzeichen bislang benutzt. Vor 102 Jahren ging die von den Brasilianern Bondinho genannte Seilbahn an der Guanabara-Bucht in Betrieb. Zur Fußball-WM 2104 (12. Juni bis 13. Juli) rechnen die Betreiber der Bondinho mit einem Touristen-Ansturm. Allein aus dem Ausland werden in den zwölf WM-Städten 600 000 Fans erwartet. Und Rio, die mit über sechs Millionen Einwohner zweitgrößte Stadt Brasiliens, wird eine der Hauptdestinationen sein. Am Zuckerhut wird das Endspiel ausgetragen, wie schon 1950 bei der ersten Brasilien-WM. Und auch dieses Mal ist das legendäre Maracanã-Stadion Schauplatz der WM-Entscheidung. Für jeden Rio-Besucher und Fußball-Fan ist das renovierte Rundstadion ein Muss.
Die U-Bahn der grünen Linie 2 führt vom Stadtzentrum und den betuchteren Vierteln der Zona Sul (Südzone) direkt zum Maracanã. Wer je ein Spiel hier erlebt hat, der hat einen kleinen Blick in Brasiliens Fußballseele geworfen. Zehntausende Fans fahren in der völlig überfüllten U-Bahn mit Fahnen, Pauken, Trompeten und Trikots zum Stadion. Da ist Tuchfühlung angesagt.
Zurück mit der U-Bahn ins Zentrum. Station Carioca. Zehn Minuten von dort liegt der Praça XV de Novembro mit seinen historischen Gebäuden und auch dem Schiffsterminal, wo Großstadtmüde jedes Wochenende die etwas mehr als einstündige Fahrt mit der alten Fähre „Itapuca“ zur Insel Paquetá antreten. Es geht über die Guanabara-Bucht, die zu den Olympischen Spielen 2016 als Segelrevier genutzt werden soll. Allerdings lässt die Sauberkeit des Wassers noch mehr als zu wünschen übrig. Doch die Fahrt und der Aufenthalt auf der kleinen Insel lässt den Stress der Metropole für einige Stunden vergessen.
Paquetá scheint wie aus der Zeit gefallen. Autos sind nicht erlaubt. Ausnahmen gibt es nur für Feuerwehr und Müllabfuhr. „Es gibt hier 5000 Einwohner, aber zur Hochsaison oder an Feiertagen sind es dann dreimal so viele“, erzählt Rafael, der die Ausflügler mit seiner Pferdekutsche für 70 Reais (rund 25 Euro) 40 Minuten lang über die Insel schaukelt. Paquetá ist fast ein Stadtteil Rios. „Viele pendeln hin und her und das jeden Tag. Die Schnellfähre von Montag bis Freitag braucht ja nur 40 Minuten“, sagt Rafael. Das kann in der Stadt Rio mit dem eigenen Auto, dem Taxi oder dem Bus bis zum Arbeitsplatz oft viel länger dauern.
Gigantische Staus lähmen in der Stadt am Zuckerhut das Alltagsleben. In den Stoßzeiten rollen unendliche Blechlawinen im Schneckentempo über völlig verstopfte Straßen. Wer dann in Richtung Norden unterwegs ist, wo auch der Internationale Flughafen Galeão liegt, der muss viel Geduld mitbringen. Bei Abflugzeiten am Abend sollten allein für die rund 25 Kilometer von der Copacabana bis zum Airport schon mal zwei Stunden Taxifahrt eingerechnet werden. Zum Zeitvertreib haben viele Taxi-Fahrer kleine Fernsehbildschirme am Armaturenbrett installiert, wo sie die beliebten Telenovelas verfolgen.
Rios Glamourviertel sind Ipanema, Leblon, Copacabana und auch Leme, die sich alle in der Zona Sul befinden. Aber auch dort liegen Arm und Reich dicht beieinander und die Favelas, die Armenviertel, oft nur zwei, drei Straßenzüge entfernt von sündhaft teuren Appartementgebäuden und Hotels. Auf eigene Faust sollten sich Rio-Besucher nicht in Favelas vorwagen. Es gibt aber Angebote für geführte Favela-Touren inklusive Übernachtung.