Bibel-Tourismus boomt im Heiligen Land
Nazareth/Ramallah (dpa) - Israel und das Westjordanland erleben einen wahren Tourismus-Boom. Besonders stark wächst die Zahl christlicher Besucher. Einige moderne Pilger erwandern sich das Heilige Land.
Kurz vor Ostern eröffnet eine weitere Route entlang biblischer Stätten.
Eine Stunde lang hat sich die Wandergruppe aus Deutschland durch den Regen gekämpft. Jetzt reißt die düstere Wolkendecke über Galiläa auf, die Sonne leuchtet grell auf grüne Felder. Reiseleiter Scharon Schwab nutzt die Regenpause zum Durchatmen - und zeigt auf die Senfpflanzen, die wild am Wegesrand wachsen: „Ob Jesus hier wirklich hergelaufen ist, wissen wir nicht. Aber es war genau diese Landschaft, die ihn auch damals zu Bildern inspiriert hat.“ Eine kleine Erinnerung im Vorbeigehen an das Gleichnis vom Senfkorn, wie es in der Bibel zu finden ist.
Ganz nah dran sein an Orten und Ereignissen aus der Bibel - die heiligen Stätten Israels waren schon immer interessant für Touristen. Doch seit etwa zwei Jahren bemüht sich das Land besonders intensiv um christliche Besucher. Und das mit Erfolg: Im vergangenen Jahr bezeichneten sich fast 40 Prozent der knapp 3,5 Millionen Touristen als christliche Pilger. „Wir spüren ein Erwachen des Marktes“, sagt Pini Shani, stellvertretender Marketingdirektor im israelischen Tourismusministerium.
Immer häufiger gehören auch Ziele abseits der bekannten Stätten zum Programm der Besucher. Bereits seit zwei Jahren ist der „Jesus Trail“ markiert: eine viertägige, rund 65 Kilometer lange Wanderung von Nazareth zum See Genezareth. Zwei junge Amerikaner haben den Pfad in privater Initiative für Touristen erschlossen. „Für einige ist es eine spirituelle Erfahrung, für andere nur eine schöne Wanderung“, sagt der 28-jährige David Landis, der das Projekt mit seiner Frau aufgebaut hat.
Diese unterschiedlichen Motive finden sich bei den Wanderern, die unterwegs in jüdischen oder auch arabischen Gästehäusern übernachten: „Die Orte aus den Bibelstellen zu erleben, ist ein ganz besonderes Gefühl“, sagt Helena Miethlich aus der Nähe von Zürich, die mit zwei Freundinnen wandert. Heike Lüders aus Berlin, die mit der deutschen Reisegruppe unterwegs ist, sagt dagegen: „Die Tour bietet eine verlockende Mischung - das Religiöse ist für mich eher eine zusätzliche Kulturinformation.“
Zwar sind die Via Dolorosa oder die Grabeskirche in der Altstadt von Jerusalem noch Besuchermagnet Nummer eins, aber zunehmend fördern auch offizielle Stellen den Tourismus in anderen Landesteilen. In diesen Tagen eröffnet der „Gospel Trail“, eine ähnliche Route wie der „Jesus Trail“.
Nach einem ähnlichen Konzept können Touristen eine Rundfahrt auf den Spuren der Jungfrau Maria buchen. Zum fünftägigen Kurztrip gehören christliche Stätten in Nazareth, am See Genezareth, in Jerusalem sowie im Dorf Ein Kerem. Dort besuchte nach christlicher Überlieferung Maria ihre Cousine Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer. „Pilgerfahrt light“ nennt Shani solche Programme: „Sie geben Besuchern die Möglichkeit, Ereignisse aus der Bibel besser zu verstehen. Schlussendlich aber bleibt es doch eine Urlaubsreise.“
Etwa 90 Kilometer von Nazareth entfernt kramt Rani Piputri eine bronzefarbene Patronenhülse aus der Tasche ihrer Jeans. „Mein Andenken an unsere Wanderung durch Palästina“, sagt sie. Die letzten Tage sind die 33-Jährige aus Amsterdam und fünf weitere Touristen aus Großbritannien auf dem sogenannten „Abrahamspfad“ durch die hügelige Gerölllandschaft zwischen Nablus und Ramallah gewandert.
Sie haben christliche Ortschaften wie Taybeh besucht und bei palästinensischen Gastfamilien übernachtet. Eine Pilgerreise auf den Spuren Abrahams, des Stammvaters von Christentum, Islam und Judentum - aber auch durch eine Konfliktregion. Die Patronenhülse hat Piputri auf einer von vier Tagesetappen am Rand des Weges gefunden.
Warum sie ausgerechnet in einem Krisengebiet Urlaub machen müsse, hätten ihre Freunde vor der Abreise gefragt, sagt Piputri. „Ich fühle mich aber sicher und habe schon viel über die Situation in den Palästinensergebieten gelernt.“ Für Peter Wyard aus der Nähe von London steht die spirituelle Erfahrung auf der Wanderung im Mittelpunkt: „Unglaublich, dass wir hier über die gleichen Steine wandern, wie die Menschen zu biblischen Zeiten.“
Immer wieder erleben die Pilger unterwegs diese Momente, in denen Episoden aus der Bibel zum Leben erwachen, plötzlich greifbar und verständlicher werden. „Besonders bewegend fand ich eine kurze Pause am Jakobsbrunnen bei Nablus - an ihm soll sich auch schon Jesus ausgeruht haben“, sagt Wyard.
Auch für den Tourismus in den Palästinensischen Autonomiegebieten sind christliche Reisende die wichtigste Zielgruppe. „85 Prozent unserer Besucher sind Pilger“, sagt Chulud Deibis, palästinensische Ministerin für Tourismus und Altertümer. Bisher hätten sie vor allem traditionelle heilige Stätten, wie die Geburtskirche in Bethlehem, besucht. Nun gebe es immer mehr Angebote, die den Pilgern auch die Kultur des Westjordanlandes und die Lebensweise seiner Einwohner näher bringen sollen.
Der „Abrahamspfad“ ist eines der Angebote. Eingerichtet wurde er von einer Nichtregierungsorganisation. Komplett markiert ist die Strecke noch nicht, doch bald soll sie Abrahams Weg quer durch den Nahen Osten folgen. Über die Türkei, Syrien und Jordanien führt sie dann in die Palästinensergebiete und nach Israel. Grenzüberschreitend soll sie Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und Kulturen zusammenbringen, hoffen die Organisatoren.
Auch wenn beiden Tourismusministerien bewusst ist, dass die Pilgerstätten im Heiligen Land sowohl in Israel als auch in den Palästinensergebieten liegen, gibt es bislang keine offizielle Zusammenarbeit. „Wir versuchen, Politik und Tourismus nicht zu vermischen“, sagt Pini Shani auf israelischer Seite. Die palästinensische Ministerin Daibis sieht Potenzial: „Wenn solche Projekte richtig entwickelt sind, könnten sie eine Unterstützung sein, um Frieden zu schaffen.“