Berlins große Sonntagsbühne: Karaoke im Mauerpark

Berlin (dpa/tmn) - Ein gnädigeres Publikum finden Hobby-Sänger wohl nirgendwo: Im Amphitheater des Berliner Mauerparks feiern sich jeden Sonntag mehr als 1000 Musikbegeisterte beim nachmittäglichen Karaoke.

Fahrradkurier Joe Hatchiban hat eine Sommerinstitution geschaffen.

Eigentlich wollte Rieke nicht singen. Ihre Freundinnen mussten sie überreden. Sie hat sich aus gutem Grund gesträubt - sie singt nicht besonders gut. Auf ihrem Kapuzenpullover steht „My soul belongs to Music“, aber sie trifft kaum einen Ton. Was ihr an Gesangstalent fehlt, macht sie aber durch ihre gnadenlose Rampensau-Attitüde wett. Haare-Schütteln, Arme nach oben reißen, ein Break-Dance-Move - die Leute auf den Rängen des Amphitheaters im Berliner Mauerpark jubeln, applaudieren, grölen mit. Es ist der allsonntägliche Karaoke-Wahnsinn.

Ab etwa 14.00 Uhr füllt sich sonntags bei schönem Wetter das Halbrund. Die Eingeweihten wissen: Wenn die Sonne scheint, wird Joe Hatchiban früher oder später auftauchen. Er wird sein orangefarbenes Lastenfahrrad auf der runden Bühne abstellen und zwei große Boxen, ein Mischpult und seinen Laptop abladen. Er wird das Mikrofon in die Hand nehmen und das Amphitheater in Deutschlands beste Freiluft-Karaoke-Party verwandeln.

Joe ist Fahrradkurier. Zu Kapuzenpulli und Jeans trägt er heute ein Käppi, wie man es sonst auf den Köpfen der Radrennfahrer bei der Tour de France sieht. Irgendwann begann er, mit seinem umgebauten Fahrrad durch Berlin zu fahren und wildfremde Leute zu spontanen Darbietungen zu überreden. Im Sommer 2009 probierte er im Mauerpark aus, wie lange seine Akkus halten. Mehr und mehr Leute schauten zu, machten mit. Der Karaoke-Nomade hatte eine Heimat gefunden. Jetzt, da Hostels ihren Gästen die Show empfehlen und sie in Reiseführern steht, kommen oft über 1000 Leute. Joe ist eine Touristenattraktion.

Nach ästhetischen Gesichtspunkten ist der Mauerpark, ein Stück ehemaliger Grenzstreifen zwischen Prenzlauer Berg und Wedding, kein schöner Ort. Glasscherben und Kippen auf dem Boden, Graffiti und Schmierereien an den Mauern, die Wiese mehr Trampelpfad als Rasenfläche. Aber wie kaum ein anderer Ort in der Stadt transportiert der Mauerpark ein vages Gefühl unbegrenzter Möglichkeiten, eine Vorahnung, dass hier alles passieren kann.

Auf dem Flohmarkt findet man alles vom T-Shirt bis zur Jazz-Platte, auf der Wiese ist nichts zu skurril, um vorgetragen zu werden. Ein BMX-Fahrer rast im rosa Hasenkostüm herum. Ein Hula-Hoop-Mädchen jongliert sich in Ekstase. Am Wegrand das ewige Hare-Krishna.

Im Amphitheater zwängt Joe sich derweil durch die voll besetzten Ränge. Während unten gesungen wird, sammelt er mit einer verbeulten Dose Geld. Mit einem Gehilfen könnte er mehr einnehmen. „Aber ich mag das so lieber“, sagt er. „Ich habe das hier um des Spaßes Willen begonnen. Und dabei soll es bleiben.“

Riekes Lied ist gleich vorbei, Joe muss zurück auf die Bühne und den nächsten Sänger ansagen. Die Liste der Leute, die noch ans Mikro wollen, ist lang. Chris aus Stuttgart singt „Everybody“ von den Backstreet Boys und reißt sich dabei die Jacke vom Leib. Eine Schwedin, die Hand schüchtern in der Hosentasche vergraben, singt mit feinfühliger Stimme „Ironic“ von Alanis Morissette. Eine Ausnahme, sagt Joe in seinem Mischmasch aus Deutsch und irischem Englisch: „Normalerweise, this song has Hausverbot.“ Dann torkelt ein Schotte auf die Bühne. Vor seinem Auftritt kippt er ein Fläschchen Jägermeister, den Text auf dem Laptop-Bildschirm will oder kann er nicht mehr entziffern, egal, er singt „Bla di bla“.

Joe lässt ihn machen. Jeder bekommt seine Chance. „Und die Leute machen sehr schnell deutlich, wenn ihnen etwas nicht gefällt.“ Dann dreht Joe die Musik vorzeitig herunter. „Thank you, that was wonderful“, sagt er, um den Sänger nicht bloßzustellen.

Vielleicht ist er so nachsichtig, weil er selbst auch nicht der größte Sänger ist. „Aber ich kann sehr gut schreien.“ Den Beweis bringt er, als die Sonne schon hinter den Häusern im Wedding versinkt. Das letzte Lied des Tages singt Joe immer selbst.

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