Die niederschlesische Metropole in Polen heißt heute Wroclaw und zieht Besucher mehr denn je in ihren Bann Breslau – schön und spannend
Breslau blickt auf eine bewegte Geschichte zurück und begeistert auf den ersten Blick. 2016 war Breslau Europäische Kulturhauptstadt, 2018 wurde die Stadt an der Oder zur „European Best Destination“ gewählt.
Architekturfreunde und Geschichtsinteressierte können dort auf Entdeckungstour gehen. Denn das heutige Wroclaw ist eine faszinierende Stadt der Gegensätze, was vielleicht an der Mischung aus polnischer, deutscher, böhmischer und habsburgischer Vergangenheit liegt. Dort treffen alle Facetten der Architektur aufeinander: Vom gotischen Prachtbau bis zum sozialistischen Monumentalbau.
Breslau ist aber auch eine Wasserstadt: Die Oder durchzieht die Stadt und ist ihr Ursprung und ihre Lebensader. Und Breslau ist natürlich eine Studentenstadt, was für junges und lässiges Flair sorgt. Aber auch Gourmets können lukullische Entdeckungen zu günstigen Preisen machen. Neben den bekannten und nach wie vor sehenswerten Orten bietet Breslau zudem auch viele neue Highlights, die man entdecken kann. Das alles zusammen, macht den Besuch in Schlesiens historischer Hauptstadt so spannend.
Eine tausendjährige
Geschichte
Wrocław wurde erstmalig im Jahr 1000 als eine gewaltige Siedlung auf einer Oderinsel erwähnt. Vieles in Breslau erinnert noch an diese tausendjährige Geschichte. Die Stadtbesichtigung sollte daher am besten im ältesten Teil, also der heutigen Dominsel, den ehemaligen Inseln auf der Oder und deren Gabelung, beginnen. Die bekanntesten davon sind Ostrów Tumski und Wyspa Piasek (Sand-
insel). Auf den Inseln findet man einen Kirchenkomplex zu dem der Breslauer Dom, eines der Wahrzeichen von Breslau, gehört. Seine zwei Türme sind mit knapp 98 Metern die höchsten Kirchtürme der Stadt.
Von der Aussichtsterrasse hat man einen atemberaubenden Blick. Kurz vor Sonnenuntergang lohnt sich daher ein Besuch auf der Dominsel besonders, denn dann kann man noch eine besondere Attraktion erleben. Jeden Abend werden die Gaslaternen von einem mittelalterlich gekleideten Gaslaternenanzünder per Hand angezündet.
Kurztrip durch
die Geschichte Breslaus
Wer die Geschichte Breslaus in fünf Minuten erleben will, kann das auf dem Kulturpfad in der Innenstadt tun. Vom Jahr 1000 bis (Stand heute) 2017 sind auf 20 Bronzeplatten die wichtigsten Meilensteine in den begehbaren Pfad eingelassen. „Breslaus Historie als weltoffene Stadt der Begegnung kann man besonders gut im sogenannten ,Viertel der vier Tempel‘ erleben“, sagt Stadtführerin Małgorzata Urlich-Kornacka. Der Name rührt von den vier Religionsgruppen her, die hier ihre Gotteshäuser haben: Katholiken, Protestanten, Juden und Griechisch-Orthodoxe. Ihre Gebetsstätten stehen gerade einmal 300 Meter voneinander entfernt.
Dieses Viertel ist heute eine beliebte Ausgehmeile mit vielen Bars, Clubs und Restaurants – vor allem für junge Leute. Aber auch ein einzigartiger Ort, der die Multikulturalität und Offenheit der Stadt Wroclaw und ihr friedliches Zusammenleben symbolisiert.
Um die Ecke finden Besucher das Nationale Forum für Musik, das 2015 eröffnet und anlässlich der Ernennung Breslaus zur Kulturhauptstadt Europas 2016 errichtet wurde. Davor steht auch die größte Gruppe der „Breslauer Zwerge“: Ein Orchester mit einer weiblichen Dirigentin. Die Zwergenjagd ist ein beliebter Sport bei Breslau-Besuchern – natürlich vor allem bei Kindern. Jeder kann für sich einen Lieblingszwerg finden, denn mittlerweile bevölkern rund 700 Zwerge Breslau. „Erst war es originell, aber mittlerweile findet nicht jeder Einwohner die ständig steigende Zahl der Zwergeninvasion gut“, sagt Stadtführerin Małgorzata Urlich-Kornacka.
Hintergrund für die Breslauer Maskottchen ist die politische Oppositionsbewegung „Orange Alternative“, die in den 1980er-Jahren mit Aktionen (zum Beispiel Demonstrationen mit Zwergenmützen) Kritik am kommunistischen Regime in Polen geübt und einen gusseisernen Zwerg (Papa Zwerg) in der Breslauer Altstadt aufgestellt hat.
Wrocław will
Gitarren-Rekord brechen
Einer der originellsten Zwerge steht auf dem Marktplatz und erinnert mit seiner Gitarre an Jimi Hendrix – oder vielleicht doch an den Breslauer Gitarrenmusiker Leszek Cichoński? Der Musiker hat nämlich das jährliche „Thanks Jimi“-Festival initiiert. 2022 soll es zum 20-jährigen Bestehen wieder am 1. Mai in Breslau stattfinden. 2006 stimmten dort 1581 Teilnehmer gemeinsam den Klassiker „Hey Joe“ an und schafften es erstmals ins Guinness-Buch der Rekorde. 2019 trafen sich sogar 7423 Rockfans aus aller Welt vor dem historischen Rathaus. Zur Jubiläumsausgabe soll nun ein neuer Weltrekord erzielt werden (mehr unter: www.heyjoe.pl).
Die Brücke
der Büßerinnen
Vor der Maria-Magdalena-Kirche im Zentrum der Stadt steht ein Zwerg, der auf einer Harley Davidson sitzt. Die Geschichte dahinter: Der Probst der Kirche war ein leidenschaftlicher Biker und hat sämtliche Motorräder gesegnet, die ihm vors Weihwasser kamen.
Und noch eine Legende umgibt die Magdalenenkirche: Die kleine Brücke, die die beiden Türme der Kirche verbindet, gehört zu den interessantesten Aussichtspunkten von Wrocław. Einer Legende zufolge wandeln auf der Brücke die Seelen der jungen Frauen, die statt sich um den Haushalt und Kinder zu kümmern, lieber feierten und sich mit Männern amüsierten. Zur Strafe mussten sie über den schmalen Steg zwischen den Türmen laufen. Die „Brücke der Büßerinnen“ ist über das ganze Jahr zugänglich. Im Turm gibt es keinen Aufzug, der Zugang nach oben führt über eine Wendeltreppe.
Jahrhunderthalle Breslau – Meisterwerk der Architektur
Zu Breslaus Top-Sehenswürdigkeiten zählt natürlich die Jahrhunderthalle: ein imposantes Gebäude, das seit 2006 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Schon beim Anblick des Äußeren der 45 Meter hohen Breslauer Jahrhunderthalle (polnisch Hala Stulecia) kommen Besucher aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Die auch Hala Ludowa genannte Halle ist eine Veranstaltungshalle aus Stahlbeton, die von 1911 bis 1913 nach einem Entwurf des Architekten und damaligen Breslauer Stadtbaurates Max Berg errichtet wurde. Gemeinsam mit der im Jahr 1948 vor dem Haupteingang der Halle aufgestellten Iglica, einer rund 100 Meter hohen Nadel, zählt die Jahrhunderthalle zu den Wahrzeichen der Stadt Breslau (www.halastulecia.pl).
Es gibt viele Arten, sich der Geschichte Breslaus zu nähern. Eine Art die neuere Historie auf ungewöhnliche Art kennenzulernen ist die Neon Side Galerie. In einem öffentlich zugänglichen Innenhof, hängen viele Neonreklame an den Fassaden, die größtenteils für Orte werben, die nicht mehr existieren. Vor allem nachts ist die Neon Side Galerie sehenswert, wenn die Neonschilder beleuchtet sind. In dem Innenhof befand sich über viele Jahre hinweg das Unternehmen Reklama, das auch selbst Neonleuchten hergestellt hat.
Von dort sind es nur ein paar Schritte zum Ring (polnisch Rynek) – der mittelalterliche Marktplatz, der heute den Kern der Fußgängerzone bildet. Beeindruckend ist das Rathaus in spätgotischem Stil. In dem 67 Meter hohen Turm steht die älteste Turmuhr Polens, die im Jahr 1368 erbaut wurde. In den Kellern des Rathauses befindet sich das älteste Restaurant in Europa die „Piwnica Świdnicka“ – der „Schwiednitzer Keller“, in dem schon Goethe eingekehrt ist. Dieses Jahr soll er nach Renovierung und Besitzerwechsel wieder eröffnet werden.
Gleich um die Ecke stehen die farbenprächtig rekonstruierten Bürgerhäuser am Salzmarkt (Plac Solny). Wie der Name verrät, wurde dort im Mittelalter Salz gehandelt. Umso überraschender ist es, dass dort heute vor allem Blumen angeboten werden – und zwar rund um die Uhr. Und das scheint sich zu lohnen: Wer sich also mitten in der Nacht bei jemandem entschuldigen muss – hier findet derjenige die passenden Blumen dazu.
Breslau lockt mit
einer lebendigen Café-Szene
Blumen kann man auch im Laden „kwiaty“ von Lucyna Schumacher-Gebhard kaufen und es gibt sogar noch Kaffee und Kuchen dazu. Oder eine interessante blaue Tee Kreation. Ein Schuss Veilchensirup gibt dem Tee den süßen Pfiff und färbt das ganze lila.
„Breslau hat eine sehr lebendige Café-Szene, viele darunter an ungewöhnlichen Orten. Zum Beispiel das „Pomiedzy“ (zwischendrin) mit der perfekten Lage zwischen Altstadt und dem neuen Hipsterviertel Nadodrze“, sagt Mirko Seebeck. Zusammen mit seiner Freundin Ewa Kierach hat er den „Wroclawguide“ – online und als Buch herausgegeben. Die beiden leben in Nadodrze, das zu deutschen Zeiten als Odertor bekannt war, benannt nach der Lage direkt an der Oder. Den Eingang zum Viertel markiert ein riesiges Mural mit einem Schlüsselloch. Mural ist Street-Art, bezeichnet aber im Unterschied zum Graffiti ein großformatiges Wandgemälde.
Früher galt der Stadtteil als gefährlich, heute ist daraus ein alternatives Viertel, ein Hot-
spot für Kunst und Kultur – und für Filmemacher – entstanden. Der Film „Bridge of Spies“ von Steven Spielberg wurde zum Beispiel hauptsächlich in den Straßen Kurkowa und Ptasia gedreht.
Das Viertel wurde in der Vergangenheit stark vernachlässigt, aber als Folge dessen kommen nun wieder alte deutsche Spuren zum Vorschein. „Durch den schlechten Zustand einiger Gebäude bröckelt die Farbe ab. Jetzt werden alte deutsche Firmennamen wieder sichtbar. Aber auch allgemeine Bezeichnungen wie ,Gastwirtschaft‘ prägen plötzlich wieder den polnischen Alltag“, sagt Mirko Seebeck. „Es ist interessant, einfach im Viertel herumzulaufen und nach den deutschen Spuren zu suchen. Aus unserer Sicht gibt es keinen anderen Ort, an dem Geschichte wieder ein so spanndender Teil der Gegenwart wird.“
Die Autorin reiste mit Unterstützung von Polen Travel.