Die Antillen-Insel St. Martin begrüßt Urlauber mit holländischem Strandbad-Flair und französischem Savoir-vivre Wie Holland, nur karibisch

Egal, wie man sich der Karibik-Insel St. Martin nähert: Der Anblick ist in jedem Fall spektakulär. Wer an Bord eines Cruisliners etwa von Tui Cruises oder Aida in die Bucht von Philippsburg im Süden einfährt, der erlebt fast karibische Bilderbuch-Atmosphäre mit sanften grünen Hügeln, verstreuten Häusern und einem einladenden Platz statt eines schnöden Hafengeländes am Ende der Captain-Hodge-Pier.

 Der Hafen von Marigot im französischen Teil der Insel wird gern von Seglern angesteuert.

Der Hafen von Marigot im französischen Teil der Insel wird gern von Seglern angesteuert.

Foto: Martin Wein

Von dort bringt ein Taxi-Boot Besucher für wenige US-Dollar in nur fünf Minuten über die Bucht nach Philippsburg, wo man mitten in der Hauptstadt des niederländischen Inselstaates an einem feinsandigen Strand ins türkisblaue Meer abtauchen kann.

Flugreisende dagegen sehen von der Insel ziemlich lange gar nichts, denn ihr Jumbo aus Europa dreht zum Anflug eine weite Schleife übers Meer. Erst buchstäblich im allerletzten Augenblick erscheint 20 Meter unter den Fenstern ein schlanker Sandstreifen ganz im Westen der Insel. Das ist Maho Beach und der internationale Princess Juliana Airport liegt keine 30 Meter dahinter jenseits der Beach Hill Road. Die Straße wird bei Landungen sicherheitshalber gesperrt. Aber Sonnenbaden ist auch dann erlaubt. Fotos der landenden Riesenflieger von Airbus und Boeing nur wenige Meter über den Köpfen der Badegäste sind für Technik-Fans die spektakulärsten Aufnahmen, die eine Karibikreise zu bieten hat. Ein Flugplan mit den Starts und Landungen hängt eigens für sie an einem Surfbrett an der Sunset Bar am Südende des Strandes aus.

Ein Besuch der Insel, die Christoph Kolumbus auf seiner zweiten Reise am Martinstag 1493 östlich von Puerto Rico im Norden des Antillen-Bogens entdeckte, bietet allerdings viel mehr. „Wir sind gut für Überraschungen“, sagt William Bell vom Fremdenverkehrsbüro des autonomen niederländischen Inselstaates.

Flach wie in Holland
und mit tropischem Grün

Was Bell damit meint, zeigt er während einer Autorunde. Zuerst rollt sein Wagen durch die Außenbezirke von Philippsburg. Hier ist König Willem-Alexander Staatsoberhaupt. Und es ist ähnlich flach wie zwischen Utrecht und Rotterdam. Supermärkte, Autohändler, Drive-in-Läden wie in den USA ziehen vorbei in exotischem Kontrast zum tropischen Grün. Ein holländisches Strandresort im Warmen sozusagen.

Hier stehen die großen Casinos und Hotels, auch ein paar Investitionsruinen. Die Strände etwa an der Simpson oder der Mullet Bay sind aber sämtlich schön und frei zugänglich. „Wir haben darauf geachtet, dass nicht alles mit Sonnenschirmen vollgestellt ist, damit es nicht aussieht wie in einem Freibad“, scherzt Bell. Und auch auf Palmen müssen Urlaubsgäste weitgehend verzichten. „Die kommen nämlich ebenso wenig vor wie auf Texel“, erklärt Bell.

Auf der Insel
gibt es alles zweimal

Dann geht es an der Baie Longue rüber nach Frankreich. „Wir leisten uns einfach zwei Regierungen“, sagt William Bell und lacht. Dazu kämen zwei Krankenhäuser, zwei Schulsysteme, zwei Flughäfen, von allem zwei. Einmal für Sint-Maarten und einmal für Saint-Martin.

Die winzige Insel mit weniger als 80 000 Einwohnern würde locker dreimal ins Stadtgebiet von Bielefeld passen. Trotzdem ist sie historisch zweigeteilt, seit französische und niederländische Kriegsgefangene die spanischen Besatzer 1648 zurück auf ihre Schiffe gescheucht hatten. Vergnügt erzählt Bell die Anekdote von den beiden Läufern, die angeblich in entgegengesetzter Richtung um die Insel rannten, um sie aufzuteilen. Vorher hatte der Franzose seinem Kontrahenten allerdings eine mit Gin gefüllte Wasserflasche übergeben. Die Franzosen bekamen den bergigen und landschaftlich reizvolleren Norden, die Niederländer den Rest.

Die Probleme sind auf beiden Inselhälften allerdings identisch. Eingeführte Grüne Leguane aus Südamerika und freche Mangusten plündern die Gärten und gefährden die einheimische Fauna. Die Schäden von Wirbelsturm Irma im Jahr 2017 sind noch an vielen Gebäuden unverkennbar. Auch wenn ein neuer Hurricane mit Sicherheit droht, werden in der aktuellen wirtschaftlichen Notlage nun auch die Seegrundstücke wieder bebaut. Viele junge Leute haben die Insel zum Studieren in Amsterdam oder Paris verlassen und sind nicht zurückgekehrt. Inzwischen bleiben wieder viele hier. Es gibt eine eigene Hochschule.

Wie eine Zeitreise
in die 70er-Jahre des Jetsets

Vom alten Fort St. Louis mit seinen rostigen Kanonen erinnert der Blick hinunter auf die winzige Inselhauptstadt Marigot im französischen Überseedepartement noch stark an die 70er- und 80er-Jahre, als St. Martin ein begehrtes Reiseziel für den internationalen Jetset war. Hotelbunker gibt es nicht, nur kleine Häuser und Bungalow-Anlagen. Hunderte weiße Yachten dümpeln im großzügigen Hafen. In der Ferne grüßt die britische Nachbarin Anguilla, die per Fähre in weniger als einer Stunde erreichbar ist. Unten in der verschlafenen Hauptstraße Rue de Liberté reihen sich Luxusboutiquen, Juweliere und einige Banken aneinander.

Das Dorf Grand-Case an einer weit geschwungenen türkisblauen Bucht gilt unter Einheimischen sogar als Gourmet-Ziel für die ganze Region. In den Restaurants und Lolos, den Feinschmeckerläden am Rand der Dorfstraße, vermischen sich in den Töpfen europäische, afrikanische, orientalische und kreolische Einflüsse.

Insgesamt setzen beide Inselhälften längst auf ein bunteres Familienpublikum. Und so kann man gleich neben dem Hafen von Marigot in vielen gemütlichen Straßencafés für 15 Euro frisch gefangenen Mahi-Mahi oder gegrilltes Hühnchen mit Fritten und Salat zum Lunch genießen. Und wer nicht den ganzen Urlaub am Strand bleiben will, der besucht den Schmetterlingspark oder gleitet in den zwei Sesselliften lautlos auf den Col du Sac im grünen Inselinneren. Der zweithöchste Gipfel der Insel bietet 25 Minuten später einen spektakulären Rundumblick bis hinüber zu den Nachbarinseln St. Barthelmy, St. Kitts und Nevis.

Wer es eilig hat, kann sich für den Rückweg dem „Fliegenden Holländer“ anvertrauen. Angeschnallt in einen Schalensitz geht es dann in weniger als einer Minute an der steilsten Zipline der Welt hinunter ins Tal. Vor allem auf den ersten Metern schreit wirklich jeder, wenn die Führungsrollen zuerst einen scheinbar bodenlosen Satz in die Tiefe machen, bevor die Seilspannung greift.