Curacao: Shampoo von der Kräuterhexe

Dinah Veeris hat ihr Leben und Wirken den Kräutern und deren heilender Mixtur verschrieben.

Düsseldorf. Vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Tiere stehen auf Roten Listen. Diese Listen werden weltweit immer länger, je weiter die menschliche Zivilisation in die letzten sensiblen Naturräume der Erde vordringt.

Mit der Artenvielfalt und der Ur-Bevölkerung verschwindet unwiederbringlich das Wissen um die wertvollen Geheimnisse der Flora und Fauna. Eine Rote Liste für bedrohtes Wissen gibt es dagegen nicht. Aber es gibt einige wenige Menschen, die aufschreiben, was nicht untergehen soll. Einer dieser Menschen ist Dinah Veeris, die Kräuterhexe von Curacao.

Wer unter Kopfläusen, Kopfschmerzen oder Durchfall leidet, findet in der Apotheke die passende Medizin aus dem Chemie-Labor. Oder man löst das Problem auf natürliche Art: Zum Beispiel mit der Hilfe von Dinah Veeris.

Die 70-Jährige produziert und vermarktet Naturheilmittel und Körperpflegeprodukte, hergestellt ausschließlich aus den Pflanzen, die auf ihrer Heimatinsel Curacao wachsen. Die Rezepturen sind Jahrhunderte alt und stammen ursprünglich von den indianischen Arawak-Ureinwohnern oder von afrikanischen Medizinmännern, die über den Sklavenhandel in die Karibik verschleppt wurden.

Im Mittelalter wäre die weise Frau mit der freundlichen Aura für ihren Denkansatz sicherlich verbrannt worden. Heute gehört sie zu den angesehensten Persönlichkeiten auf den Niederländischen Antillen. Sie hat mehrere Bücher über die heilende Wirkung der Botanik von Curacao geschrieben. Ihre Produkte sind im Internet zu bestellen. Tinkturen, Seifen und Öle aus dem Hause Dinah Veeris reisen, liebevoll verpackt, um die Welt.

Am Fuße des Tafelbergs in Banda Riba, dem Südosten der Tropeninsel, hat sich die Unternehmerin ein Paradies geschaffen - "Den Paradera", den "Platz, an dem du dich zuhause fühlst". In einer leichten Brise klappern sanft die Palmwedel. Kolibris schwirren pfeilschnell durch die feuchtwarme, würzig duftende Luft.

Im Blätterdach der Laubbäume krächzen die Papageien, werden nur vom tropischen Tröten des Trupial noch übertönt. Das ist ein gelb-schwarzer, drosselähnlicher Vogel, der vom Frühstückstisch schon mal eine Scheibe Käse klaut. Ungeachtet seiner geflügelten Mitbewohner, döst ein grüner Leguan, ungefähr einen Meter lang, im Halbschatten auf einem Ast des Frangipani-Baums.

Auf der Suche nach Insekten schieben sich kleine Eidechsen knisternd durch Unterholz und Kräuterbeete. Die bräunlichen nennt Dinah Veeris "Lagadishi", die größeren bläulichen "Bloblos".

"Den Paradera" ist ein botanischer Garten mit mehr als 300 auf Curacao beheimateten Pflanzenarten. Viele davon sind schon vom Aussterben bedroht. In diesem Garten aber haben heimische Pflanzen eine gute Chance: Sie können dort erstens überleben und zweitens den Menschen helfen.

"Die Dosierung ist das Entscheidende", sagt Dinah Veeris, "und auch die Frage, ob das Mittel gekocht oder roh einzunehmen ist." So hilft ein Tee vom Blätterkaktus angeblich gegen Nierensteine. Aus den fußballgroßen Früchten des Kalabas-Baumes rührt sie ein Shampoo gegen blasses, schütteres Haar; aber auch einen Sirup gegen Husten und Asthma.

"Der Lebensbaum hat ein so hartes Holz, dass man daraus früher Kanonenkugeln gemacht hat", erklärt sie weiter. Seine Rinde soll den Cholesterin-Spiegel senken, sein Blattwerk den Blutdruck. Ein anderes Kraut, das wie Thymian riecht, wirkt wohl gegen Bauch- und Ohrenschmerzen.

Sieben Leute arbeiten für Dinah Veeris. In der kleinen Manufaktur direkt neben dem Garten bereiten sie alle Produkte nach bewährten Rezepten frisch zu, portionieren, verpacken und versenden sie. Zutaten, die nicht aus dem Garten stammen, bezieht sie von Verwandten, Freunden und Bekannten. Ihr Sohn Shastri und dessen Frau Marianella helfen seit Jahren mit, sollen das Geschäft eines Tages übernehmen.

Curacao hat rund 150 000 Einwohner aus mehr als 60 Nationen. Im Stammbaum der meisten hat die Sklaverei Spuren hinterlassen. Vielleicht auch deshalb gehen immer mehr Einheimische nicht nur zum Arzt oder Apotheker, sondern vertrauen sich der Kräuterhexe an.

Täglich sitzen sie bei Dinah Veeris, zeigen ihre geschwollenen Füße, berichten von Verdauungsproblemen oder Juckreiz. Schulklassen machen Ausflüge nach "Den Paradera". Dort lassen sie sich erklären, wie die Ureinwohner Südamerikas und Afrikas früher im Einklang mit der Natur gelebt haben.

Auf Anregung ihrer Mutter hatte sie 1981 damit begonnen, die Inselältesten nach deren traditionellen, oft nur mündlich überlieferten Heilungsmethoden zu fragen und diese für die Nachwelt zu notieren. Daraus wurden ihre Mission und ein neues Leben.

Im Jahre 1991 begann sie, den Garten anzulegen. Heute ist sie 70Jahre alt, sieht aus wie Mitte 50, lässt sich einmal pro Jahr ärztlich durchchecken. "Es ist der Kräuterduft, der mich jung hält", ist sie überzeugt.

Mit ihrem Anspruch, ihrem Wissen, ihrem Auftreten und nicht zuletzt ihrer Wertschätzung für die Natur hätte Dinah Veeris das Zeug zur Staatspräsidentin. Doch sie steht lieber in ihrem Garten auf Curacao und singt ein fröhliches Lied für ein schwächliches Blümchen.

In einer kleinen Wiege aus Leinentuch schaukelt sie es sanft hin und her - wie ein krankes Kind. So machten es schon die Menschen in Westafrika vor 300 Jahren, wenn ihnen die Pflanze kostbar war.