Erotische Stadtführungen: Große Freiheit oder Keuschheitsgürtel?

Auf den Spuren von Liebe, Lust und Laster entdecken Besucher bekannte Städte auf ganz andere Art.

Düsseldorf. "Sündige Meilen" wie die weltberühmte Hamburger Reeperbahn üben eine seltsame Anziehungskraft auf Besucher aus. Nicht die Fleischeslust treibt die meisten von ihnen hierher, sondern vielmehr der Wissensdurst: Denn zwischen Nachtclubs, Bordellen und schummrigen Zuhälter-Kneipen lernen Touristen die Geschichte einer Stadt ganz anders kennen.

Der Herr mit Glatze, Goldkettchen und Ludenbrille ist kein gelernter Historiker, dafür aber ein Mann vom Fach: Mit mehr als 35 Jahren Berufserfahrung ist Inkasso Henry nach eigenen Aussagen der dienstälteste Portier auf der Reeperbahn - und kann deshalb "ohne Bücher, Archive und so einen Kram" erzählen, wie es auf St. Pauli wirklich gewesen ist.

Auf seinen Touren führt Henry, der nicht nur als Türsteher, sonder auch als Zuhälter und "Inkasso-Unternehmer" sein Geld verdiente und "mehrfach im Fernsehen zu sehen" war, ein unverfälschtes Bild seines vertrauten Viertels.

Stationen der Tour, die übrigens mit einer Hafenrundfahrt kombiniert werden können, sind die Herbertstraße, der Hans-Albers-Platz mit dem Denkmal des beliebten Schauspielers und die Große Freiheit, wo Henry im berühmten Star-Club als Kellner gearbeitet hat.

In der "Ritze", der wohl bekanntesten Reeperbahn-Kneipe, können die Teilnehmer Fotos und Autogramme von Berühmtheiten wie Boxer-Legende Max Schmeling, Don King oder den Klitschko-Brüdern bewundern oder einen Blick in den legendären Boxkeller unter der "Ritze" werfen, in dem auch heute noch trainiert wird.

Auch wenn hier keine Reeperbahn zum Nachtbummel verleitet, so ist Flensburg doch die heimliche erotische Hauptstadt Deutschlands. Beate Uhse sei Dank: Zu Beginn der 50er-Jahre gründete die gebürtige Ostpreußin hier in einem Kellerraum ihren Versandhandel für Artikel der "Ehehygiene" und legte damit den Grundstein für einen der größten Erotik-Konzerne weltweit.

Die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und Ehrenbürgerin von Flensburg, die 2001 im Alter von 81 Jahren starb, steht im Mittelpunkt der erotischen Stadtführungen durch Flensburg.

"Eine faszinierende Persönlichkeit, ein Freigeist und eine Vordenkerin," schwärmt Touristenführerin Anja-Garnet Desler, die sich intensiv mit dem wechselvollen Schicksal der einstigen Berufspilotin beschäftigt hat und auf ihren Rundgängen viel Wissenswertes aus dem "Leben der U." berichtet.

Pflicht ist auch ein Besuch im Oluf-Samson-Gang. Wer die malerische Gasse mit den kleinen Fachwerkhäusern betritt, ahnt kaum, dass er über die historische "Rotlichtmeile" Flensburgs wandelt. Die "Meile" ist zwar kaum mehr als 100 Meter lang, in den Häuschen aber, die einst von Handwerkern, Arbeitern und Seeleuten bewohnt wurden, gingen ab 1919 bis zu 70 Damen dem horizontalen Gewerbe nach. Inzwischen gilt der Gang, der seinen Namen dem Flensburger Reeder und Kaufmann Oluf Samson aus dem 16. Jahrhundert verdankt, längst wieder als verkehrsberuhigte Zone.

Dass es zur Karnevalszeit im sinnenfrohen Rheinland eher locker zugeht, muss schon Casanova gewusst haben. Der venezianische Schürzenjäger jedenfalls kam pünktlich zum Karneval im Frühjahr 1760 nach Köln - und lernte prompt die Frau des Bürgermeisters Franz Jacob de Groote kennen und lieben.

Die Affäre - das "Fisternöllchen", wie der Kölner sagt - dauerte mehrere Monate und ging in die Geschichte der Stadt ein, die reich ist an Episoden über Liebe und Laster, wie Christine Schauerte von "Stadtgeschichten Köln" weiß.

Die Stadtführerin enthüllt auf ihrer "Sex and crime"-Tour durch die Domstadt die schonungslose Wahrheit über Keuschheitsgürtel. Sie erklärt, welche Rolle Eselmist und Hexenkraut bei der Verhütung vor 600 Jahren spielten und entlarvt die damaligen Badehäuser als mittelalterliche Swingerclubs.

Sie spricht über die Haltung der katholischen Kirche zur Prostitution und wirft einen Blick in die Bußbücher, die Sünder zu Wasser, Brot und Enthaltsamkeit verdonnerten, bei Fehltritten unter Alkoholeinfluss aber großzügige "Rabatte" einräumten. Auf der Wanderung zu den lasterhaften und heiligen Orten Kölns begegnen die Teilnehmer Huren, Hexen und Henkern und erfahren, dass heute noch vieles genauso ist wie damals.

Natürlich war das Geschäft mit der käuflichen Liebe in der DDR offiziell verboten. Dass die Staatssicherheit gezielt Prostituierte einsetzte, um Messebesucher aus dem Westen auszuhorchen und bei Laune zu halten, um so bessere Geschäftsabschlüsse zu erzielen, ist eine ganz andere Geschichte.

Auf der Stadtführung "Von Lust und Lastern, Kaffeemädchen und lockeren Frauenzimmern" wird der jüngeren Vergangenheit der Messestadt allerdings nur ein Kapitel gewidmet. Denn die Sittengeschichte Leipzigs reicht weit zurück bis ins Mittelalter. Schon damals war Leipzig ein bedeutendes Handelszentrum, "die Messen erinnerten eher an Jahrmärkte", erzählt Stadtführer Michael Schaaf von "Leipzig Details".

Und wo Händler, Kaufleute, Gaukler, Wahrsager und Tierbändiger zusammentrafen, fanden auch Prostituierte ihr Betätigungsfeld. Sittenstreng ging es im 18. Jahrhundert zu, als die "Kaffeehausverordnung" Frauen das Betreten der Cafés untersagte und sogar weibliches Bedienpersonal verbot.

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