Der Ruf nach Freiheit: Reisen in Zeiten des Web 2.0

Berlin (dpa/tmn) - Immer mehr Urlauber suchen und buchen im Internet. Das Web 2.0 befreit sie aus dem Korsett organisierter Angebote. Auch die Tourismusbranche buhlt längst im Netz um die Kunden - aber die sind vielleicht schon auf eigene Faust auf dem Weg in den Urlaub.

Einfach in Bombay bei jemandem auf der Couch pennen? Oder in Lissabon gleich in das Restaurant in der Altstadt spazieren, das gerade besonders angesagt ist? All das ist kein Problem mehr - dem Web 2.0 und sozialen Netzwerken sei Dank. Auch die Tourismusbranche hat die neue Freiheit erkannt, zeigt die Reisemesse ITB in Berlin (9. bis 13. März). Die Veranstalter suchen vor allem neue Vertriebswege. Viele Reisende kommen aber ohne sie aus.

Der Siegeszug der modernen Technik führt aber nicht dazu, dass der gute alte Pauschalurlaub ausstirbt. „Natürlich kann sich jeder seine Reise komplett selbst zusammenstellen. Das kostet aber Zeit“, sagt Torsten Schäfer vom Deutschen Reiserverband (DRV). Die Reisebüroberatung sei schneller als die Suche nach Infos im Netz. Außerdem bieten Veranstalter ihren Kunden Sicherheit: „Wenn zum Beispiel mein Flug ausfällt, muss ich mich nicht selbst darum kümmern, das Geld für die Übernachtung vom Hotel wiederzubekommen.“ Reißt die Kette, ist der Gast abgesichert.

Alles aus einer Hand bedeutet also weniger Risiko - alles selbst zu machen dafür mehr Unabhängigkeit. „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“, findet Schäfer. In Eigenregie auf Reisen zu gehen, kann aber im Prinzip jeder, der Zeit, Muße und etwas Mut mitbringt.

Wohin soll es gehen? Viele Reisende brauchen dazu heute nicht mehr den Rat aus dem Reisebüro. Sie setzen lieber auf Tausende von Erfahrungsberichten auf Webseiten wie Tripadvisor.de. Auf Facebook besprechen Nutzer ohnehin alles, was sie in ihrem Leben interessiert. Fotoalben auf Flickr wecken Fernweh, in der Online-Community kommen viele Bilder weniger hochglanzpoliert daher als in Reisebroschüren.

Wo übernachten? Die Plattform Couchsurfing.org liefert die soziale Alternative zum Hotel. Darüber kann der User aus Bochum herausfinden, wer in Rio gerade ein Schlafsofa frei hat. Das Übernachten bei Pedro zu Hause ist vielleicht mehr „interkultureller Austausch“, als es die Erlebnisreiseanbieter in ihren Katalogen versprechen. Wer sich nicht gern in fremden Federn bettet, der kann auch auf Portalen wie Trivago.de oder Bettenjagd.de eine preiswerte Bleibe suchen.

Wie von A nach B? Ihre Flüge buchen viele Deutschen längst online, Suchmaschinen wie Swoodoo.de finden die günstigste Verbindung. Einen Mietwagen übers Netz zu ordern, ist mit wenigen Mausklicks erledigt. Und wer sich zum Beispiel in Nairobi orientieren oder von Kapstadt nach Namibia kommen will, kann auf Google Maps nachschauen. Dutzende Metro-Streckennetze aus aller Welt hat Urbanrail.net parat.

Was erleben? Der Reisebegleiter, der vor dem Taj Mahal über Indiens Geschichte referiert, war gestern - auf Rentalocalfriend.com finden Reisende selbst einen ortskundigen Führer. Wer Einheimischen mehr vertraut als dem Reiseführer, schaut auf Spottedbylocals.com vorbei. Die hippsten Plätze in bislang 33 europäischen Metropolen empfehlen dort Menschen, die in der jeweiligen Stadt leben.

Von Umrechnungskursen über Shopping-Rabatte bis zu öffentlichen Toiletten auf Thebathroomdiaries.com: Es gibt fast keine Information, die es im Netz nicht gibt. Dadurch wird der Reisende unabhängiger. „Es geht um eine gesellschaftliche Veränderung“, erklärte Michael Buller, der Vorstand des Verbands Internet Reisevertrieb (VIR), auf der ITB. „Der Kunde emanzipiert sich.“

Für den Trendforscher Peter Wippermann steckt dahinter das Bedürfnis, weiterhin das Besondere zu entdecken: „Wenn man schon mit einer Kreuzfahrt zu den Eisbären fahren kann, werden eben neue Reiseziele erobert“ - zum Beispiel Honduras, Malawi oder Vietnam. Ein Austausch mit Menschen vor Ort geht fast überall. „Homesharing und Couchsurfen werden immer beliebter und symbolisieren das Reisen 2.0“, sagt der Gründer des Hamburger Trendbüros.

Das Internet ist aber nicht nur sozial, sondern auch mobil. Die Lufthansa zum Beispiel gab auf der ITB bekannt, bereits 3,5 Millionen mobile Bordkarten via Smartphone-App verkauft zu haben. „Location based services“ wie Foursquare oder Facebook Places - ortsgebundene Dienste per Handy - sollen das nächste große Ding sein. Mit ihnen erfährt der Reisende bald auf jeder Insel vor Thailand, in welchem Restaurant um die Ecke es anderen Nutzern am besten geschmeckt hat.

Wird das Smartphone damit zum tragbaren Reisebüro? Software dafür gibt es schon jetzt, sie auf Auslandsreisen zu nutzen, kann sich wegen hoher Roamingkosten aber noch kaum jemand leisten. Das dürfte allerdings anders werden. Schon jetzt gibt es Travel-Simkarten zur Kostenersparnis. Sinkende Preise in der Telekommunikation könnten nicht nur internationale Anrufe, sondern auch weltweites Surfen verbilligen.

Der IT-Verband BITKOM teilte zur ITB mit, dass bereits 31 Millionen Deutsche eine Reise online gebucht haben. Laut der Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen waren das etwa sechs von zehn Befragten mit einem Internetzugang (59 Prozent). Auffällig ist, dass die Zahlen in den vergangenen fünf Jahren in allen Altersgruppen hinweg gestiegen sind. Wer online nach Urlaub sucht, nutzt zur Information im Schnitt 13 verschiedene Webseiten.

Allzu nervös müssen die klassischen Tourismusanbieter nicht werden: Es wird immer den bequemen Urlauber geben, der vom Veranstalter umsorgt werden will. Andere Reisende dagegen haben es dank der modernen Smartphones so einfach wie noch nie, auf eigene Faust die Welt zu entdecken - alles, was sie dazu wissen müssen, steckt in ihrer Jackentasche.