Katar: Dubais kleine Schwester dreht auf

Vom Perlenfischerort zum Königreich der Kontraste: Das Emirat will den Tourismus stärken — und an die Fußball-WM 2022 glauben sowieso alle.

Foto: Qatar Tourism Authority / Olaf Loose

Düsseldorf. Die Teller scheppern bedenklich. Daran sind der allgegenwärtige Wüstenwind und die schwankenden Planken der arabischen Segeldhow schuld. Doch Abdel, Koch auf dem traditionellen Ausflugsschiff, weiß sofort Abhilfe: Er steckt Stoffservietten zwischen das Beduinen-Geschirr auf dem Buffet.

Foto: Paul Cowan

Und das Boot, ausgestattet mit gemütlichen, weißen Sitzkissen auf braunem Holzdeck, tuckert schnurstracks auf die imposante Skyline Dohas zu, der Hauptstadt Katars. Gut zwei Dutzend Hochhäuser funkeln in allen Farben von rot über lila bis giftgrün, als sich die Dämmerung über das kleine, aber reichste Emirat am Persischen Golf senkt und die Hitze des Tages vertreibt.

Der Urlauber weiß nicht, was er zuerst probieren, wohin er zuerst schauen soll: mit Walnüssen gefüllte Datteln, Tabuleh-Salat mit frischer Minze, oder gleich Lamm und Huhn, geschmort in Rosinen, Safran und Kardamom?

Soll er seinen Fokus auf das „Kondom“ richten, das bizarre Hochhaus des französischen Stararchitekten Jean Nouvel mit dem hautfarbenen Überwurf, oder auf den trapezförmigen Flachbau des Sheraton-Hotels am Rande der Skyline, das erste Hotel, das hier 1982 in die Wüste gesetzt wurde? Eins wird deutlich: Doha boomt, und macht dabei keine schlechte Figur.

Besucher in Katar stellen mit Erstaunen fest, dass der fast noch unbekannte Wüstenstaat, der geografische Daumen oberhalb Saudi-Arabiens, mit 180 mal 80 Kilometern Fläche kleiner als Schleswig-Holstein, an jeder Ecke Überraschungen bietet. DJ-Events in Luxushotels, etwa im angesagten „W“, bringen Ausländer zusammen, darunter 3000 dort lebende Deutsche.

Von 2,1 Millionen Einwohnern Katars ist nur jeder siebte Einheimischer, die Mehrheit sind Gastarbeiter aus Nepal, Indien, den Philippinen. Filmfestivals und Fotoausstellungen zeigt das Kulturdorf Katara. Adrenalin freisetzende Jeeptouren führen über 60 Meter hohe Wüstendünen. In hyper-eleganten Shopping Malls wie „Vilaggio“ pendeln Kauflustige auf künstlichen Kanälen in Gondeln zwischen Zara und Aldo hin und her.

Touristisch kann Katar, Königreich der Kontraste und eins von sieben Emiraten am Golf, durchaus mit der großen Schwester Dubai mithalten — bleibt dabei aber angenehm überschaubar. Eine Entdeckungstour beginnt am besten im vielfach preisgekrönten „Museum islamischer Kunst“. Im Halbdunkel schimmert ein spanisches Bronzepferd aus dem 10. Jahrhundert, Perserteppiche glänzen neben Koran-Relikten. Grandios inszeniert der Neubau des New Yorker Kult-Architekten I. M. Pei Kunstschätze aus 14 Jahrhunderten.

Die Skyline Dohas im Blick geht es weiter entlang der sieben Kilometer langen Uferpromenade Corniche zur Kunstinsel „The Pearl“, nach dem Vorbild Dubais auf 400 Hektar aufgeschüttet. Ein futuristisches Maklerzentrum umwirbt Investoren mit Villen ab 2000 Euro pro Quadratmeter — fast ein Schnäppchenpreis: Jogi Löw, so hört man, sei interessiert.

In dem auf alt restaurierten Souk Waquif im Zentrum sind neben Gold- und Silberschmuck ein Falken- und Pferdemarkt zu bestaunen. In einem halben Dutzend neuer Boutiquehotels im Souk schläft der Gast wie in 1001 Nacht. Von Perlenfischerei lebte das Scheichtum 5000 Jahre lang; die Entdeckung riesiger Gasvorkommen beschert ihm heute das höchste Pro-Kopf-Jahreseinkommen der Welt, von rund 100 000 Dollar. Einheimische Frauen in bodenlangen schwarzen Umhängen, hier Abajas genannt, promenieren neben ihren Männern in weißen dishdasha-Kaftanen — ein elegantes Bild.

Ob in Kultur, Sport oder Tourismus — Katar plant Investitionen von 50 Milliarden Dollar in den nächsten Jahren. Der größte Coup — die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 — ist allerdings in die Kritik geraten: Ausbeutung von Bauarbeitern, Bestechungsvorwürfe. Kommt die WM nun nach Katar oder nicht? Vor Ort zweifelt niemand daran. Beim letzten World Cup wurden bereits tiefgekühlte Outdoor-Fanmeilen getestet: draußen 48 Grad, vor der Leinwand 25.

Ist Katar besser als sein Ruf? „Katar hat die Kritik nicht verdient“, sagt Gerhard Foltin, 71, Hotelier des Sporthotels „The Torch“ und deutscher Pionier der ersten Stunde in Katar. Das Arbeitsrecht in Kartar sei „nicht schlechter als anderswo“, sagt der gebürtige Garmischer, allerdings gebe es „schwarze Schafe unter den Baufirmen“.

Ausländische Bauarbeiter in Katar verdienen bei 48 Arbeitsstunden pro Woche 350 Dollar im Monat, plus Kost, Logis und Anreise. Foltins Hotel — in diesem Jahr Wintertrainingsquartier von Schalke 04 — überragt in Form einer Olympiafackel den „Aspire“-Sportkomplex.

Es ist mit Indoor-Fußballplatz und fünfstöckiger Schwimmhalle eins der modernsten Sportzentren der Welt. Zuletzt auch Austragungsort der Handball-Weltmeisterschaft. Weit entrückt sind Politik und Kritik, wenn Urlauber in einem von rund einem Dutzend Luxus-Strandresorts im türkisen Wasser des Persischen Golfs baden, im Winter bei angenehmen Luft- und Wassertemperaturen um die 25 Grad.

Dort wird die Wüste zum Strand und täglich frisch geharkt. Weich glitzert der Vollmond am Abend mit den Lasershows der Wolkenkratzer um die Wette. Mit Blick auf die Skyline von Doha hat der Gast die Wahl zwischen Sushi und Falafel — auch das passt zum Königreich der Kontraste.

Die Autorin reiste mit Unterstützung des Fremdenverkehrsamtes Katar.