Oft bleiben nur Denkmäler - Auf den Spuren des Warschauer Ghettos
Warschau (dpa/tmn) - Vor 70 Jahren schlugen Hitlers Soldaten den Aufstand im Warschauer Ghetto erbarmungslos nieder. Wer sich heute auf die Spuren des Judentums in der polnischen Hauptstadt begibt, findet mehr Denkmäler und Erinnerungsorte als Bauten der Vergangenheit.
Von ihrem Wohnzimmerfenster in der 14. Etage eines Plattenbaus in der Warschauer Innenstadt zeigt Krystyna Budnicka auf den schlanken Backsteinturm einer Kirche. „Der war für die Deutschen damals ein Orientierungszeichen“, sagt sie. „Das war die Kirche im Ghetto, für die getauften Juden.“
Damals — das war vor 70 Jahren. Krystyna Budnicka hieß noch Hena Kuczer und war das jüngste Kind einer jüdischen Familie. Der Stadtteil Muranow, einst das Zentrum jüdischer Kultur in der polnischen Hauptstadt, war das Warschauer Ghetto. Die Mehrheit der einst 330 000 Warschauer Juden war zu diesem Zeitpunkt schon in das nationalsozialistische Vernichtungslager Treblinka deportiert worden.
Als sich eine kleine Gruppe verzweifelter Widerstandskämpfer am 19. April 1943 zum Aufstand entschloss, kämpften die Deutschen den Aufstand erbarmungslos nieder. Krystyna Budnicka gehört zu den wenigen, die überlebten. Die Kirche überstand die systematische Zerstörung des brennenden Ghettos. Doch von dem alten Muranow ist kaum noch etwas zu sehen. Wohnbauten aus den 50er und 60er Jahren dominieren das Straßenbild. Wer sich auf die Spur des Ghettos macht, findet mehr Denkmäler und Erinnerungsorte als Bauten der Vergangenheit.
Das gilt vor allem für den Plac Bohaterow Getta, den Platz der Helden des Ghettos an der nach dem Widerstandskämpfer Mordechai Anielewicz benannten Straße. Hier steht das Denkmal, das an die Aufständischen erinnert. Es ist der Ort des berühmten Kniefalls von Willy Brandt bei seinem historischen Besuch in Polen 1970. Hier ist auch der Ausgang der „Strecke der Erinnerung“, die durch das einstige Ghetto führt.
Der moderne Kontrapunkt des Denkmals ist das Museum der Geschichte der polnischen Juden, das ab dem 20. April seine Türen für Besucher öffnet. Die Dauerausstellung, die 1000 Jahre jüdischer Geschichte in Polen darstellt, wird allerdings voraussichtlich erst Anfang 2014 fertig sein.
Nur ein paar Ecken weiter erinnert ein Denkmal auf einem kleinen Hügel an den Kommandobunker der Ghetto-Kämpfer in der Mila-Straße. Für Mordechai Anielewicz und die meisten seiner Mitkämpfer wurde der Bunker zum Massengrab — sie begingen Selbstmord, als deutsche Truppen das Gelände umzingelt hatten.
Marek Edelman, der letzte noch überlebende und in Polen gebliebene Anführer des Ghetto-Aufstands, starb 2009. Sein Grab liegt gleich an der Hauptallee des Jüdischen Friedhofs, der überwuchert von Bäumen und Gestrüpp in einen Dornröschenschlaf versunken scheint.
Zwischen Massengräbern und der Hauptallee steht das Denkmal für Janusz Korczak. Der Arzt, Humanist und Pädagoge leitete das jüdische Waisenhaus. Als der Deportationsbefehl für „seine“ Kinder kam, ging Korczak mit ihnen und wurde in Treblinka ermordet.
Die Backsteinhäuser in der kleinen Straße an der alten Grenze zwischen dem jüdischen und dem christlichen Warschau sind der letzte erhaltene Straßenzug. Jahrelang von Verfall bedroht, ist ein Teil der Häuser mittlerweile zu Luxusbüros renoviert worden. Beim alljährlichen Singer-Festival, benannt nach dem Schriftsteller Isaac Baschevi Singer, wird die Straße jeden Sommer zu Bühne und Kulisse.
Von der Ghetto-Mauer sind nur noch wenige Teile erhalten. In der Waliców Straße steht eine zugemauerte Hausfassade und auch in der nahe gelegenen Sienna-Straße ist in einem Innenhof ein Fragment der Mauer erhalten. Ein Denkmal in der Prosta-Straße erinnert an den Fluchtweg der wenigen Überlebenden durch die Kanalisation. Auch Krystyna Budnicka konnte so als Elfjährige aus dem Ghetto entkommen.