Segeltörn zum Great Bear Rainforest: Der Geisterbär lässt bitten

Bella Bella (dpa/tmn) - Die „Maple Leaf“ kreuzt vor der Küste von British Columbia. Bei einem Törn begegnen Passagiere nicht nur Killerwalen und Grizzlybären. Mit etwas Glück haben sie auch die Chance, eine ganz seltene Spezies zu beobachten.

Marven Robinson ist pünktlich wie ein Maurer. Als der Bärenführer vom Stamm der Gitga'at morgens mit seinem Motorboot in die kleine Bucht einfährt, schlägt die Borduhr der „Maple Leaf“ gerade neun Uhr. Der Zweimastschoner mit dem Ahornblatt im Segel hat in der Nacht vor Gribbell Island geankert. Die Passagiere, ein knappes Dutzend unternehmungslustige Touristen aus aller Welt, warten bereits an der Reling - in schweren Gummistiefeln und mehreren Lagen Kleidung.

„Mal sehen, was heute passiert“, sagt Marven bei der Begrüßung. Versprechen will er nichts. Wie auch? Gribbell Island, eine unbewohnte Insel mit Wäldern, Bergen und Flüssen, ist groß, die Zahl der Objekte der Begierde dagegen verschwindend klein. „Mutter Natur führt hier Regie“, sagt Marven, „wir sind nur die Kabelträger.“

Dann stapft er los. Der schmale Pfad folgt einem träge plätschernden Flüsschen bis zu einem improvisierten Beobachtungsstand. Von dort reicht der Blick über umgefallene Baumstämme und verstreute Felsbrocken noch ein Stückchen weiter flussaufwärts. „Jetzt heißt es still sein und warten“, lächelt Marven und macht es sich auf einer der Bänke bequem. „Die Geisterbären können jeden Augenblick auftauchen. Oder auch nicht.“

Zwar sind erst drei Viertel des Törns zwischen Vancouver Island und Alaska absolviert. Doch schon jetzt sind sich alle an Bord darüber einig, dass das bisher Erlebte jeden nur denkbaren Superlativ verdient. Seit einer knappen Woche steuern Kapitän Greg Shea und seine Crew die „Maple Leaf“ durch eine spektakuläre Naturkulisse, die erst in den 1990er Jahren ihren Namen erhielt.

„Great Bear Rainforest“ nannten Umweltschützer diese Küstenlinie, die aus tiefen Fjorden, schneebedeckten Bergen und unzähligen unbewohnten Inseln besteht und den Pazifik von den Coast Mountains trennt. Ein magisch klingender Name, der auf die letzten großen Grizzlybärenbestände Nordamerikas und ihren Lebensraum, den letzten einigermaßen intakten, gemäßigten Regenwald des Kontinents, verweist. Und Assoziationen mit dem Paradies weckt.

Doch an diesem Punkt wiegelt Greg schnell ab: „Wir versprechen unseren Gästen nicht, dass sie Bären sehen werden“, sagt er. Nur um gleich darauf hinzuzufügen, dass es ihm in all den Jahren am Steuerrad der „Maple Leaf“ noch immer gelungen sei, Bären zu finden.

Von weiteren, nicht minder spektakulären Spezies ganz zu schweigen. Fast täglich wurden bislang auf dieser Tour Buckelwale gesichtet. Vier dieser sanften Riesen gaben abends im spiegelglatten Wasser der Bishop Bay eine Galavorstellung. Vor Gil Island schossen schwarzweiße Dall-Delfine pfeilschnell durch die Wogen. Orcas jagten Heringe und peitschten mit ihren Schwanzflossen das Wasser, um hungrige Fischadler fernzuhalten.

Doch natürlich warten alle auf die Bären. In Europa als Kermode-Bären bekannt, gibt es höchstens 400 dieser durch eine Genmutation weiß gefärbten Schwarzbären. Der Great Bear Rainforest ist ihre Heimat, die meisten leben auf Princess Royal Island und Nachbarinseln wie Gribbell Island.

Dort werden die in ihrem Beobachtungsstand ausharrenden „Maple Leaf“-Passagiere inzwischen ungeduldig. Die ersten Schwarzbären haben sie noch begeistert beim Lachsfischen fotografiert. Inzwischen werden diese ignoriert. Alles wartet auf die Stars des Regenwalds. „Machen sicher ein Schläfchen“, vermutet Marven. Doch seine Worte sind noch nicht verklungen, da flüstert jemand aufgeregt: „Spirit Bear!“

Ungefähr 70 Meter flussaufwärts hat sich ein großer weißer Bär aus dem grünen Dickicht gelöst. Mit wilden Tatzenschwüngen jagt er einen Lachs durch das seichte Wasser, doch der Fisch entwischt. Daraufhin erklimmt der Kermode einen der umgestürzten Baumstämme und scannt in aller Ruhe das Wasser. Ein paar Minuten passiert nichts, doch dann hechtet er mit einem gewaltigen Bauchklatscher ins Wasser und taucht wenige Sekunden später mit einem riesigen Lachs im Maul wieder auf.

Nach seiner Mahlzeit trottet er gemütlich an den „Maple Leaf“-Passagieren vorbei - so nahe, dass diese selbst sein Magengrummeln vernehmen. Niemand spricht, niemand rührt sich. Etwas flussabwärts gesellt sich ein Schwarzbär hinzu. Auf der Plattform schlägt die Anspannung in gelöstes Gekicher um. Glückliche Gesichter überall, Schulterklopfen allenthalben. Bärenführer Marven Robinson strahlt. „Besser geht's nicht, oder?“ Den Regen, der auf die gummibeschichteten Jacken trommelt, hat niemand bemerkt.

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