Teufelsberg statt Fernsehturm - Internet-Tipps verändern Tourismus

Berlin (dpa) - Urlauber brauchen nicht mehr zwingend einen gedruckten Reiseführer: Dafür gibt es das Internet. Die Bewertungsportale im Netz verändern den Tourismus. Doch die Flucht vor überfüllten Sehenswürdigkeiten endet oft in einer anderen „Mainstream-Falle“.

Wer bei Mustafa einen Döner kaufen will, braucht Geduld. Schließlich reicht die Schlange über den halben Berliner Mehringdamm. Im Internet ist der Imbiss bestens bekannt: 399 Bewertungen und 4,5 von 5 Sternen bekommt Mustafas Gemüsedöner bei Tripadvisor. Dieses und andere Bewertungsportale wie Yelp, GoLocal oder Foursquare haben dazu beigetragen, die kleine Kebab-Bude zum Besuchermagneten zu machen. Klassische Sehenswürdigkeiten dagegen verlieren im Netz an Strahlkraft. So liegt der Berliner Fernsehturm mit vier Sternen in der Nutzergunst hinter dem kleinen Dönerladen.

Bewertungsportale verändern den Tourismus, sagt Experte Florian Bauhuber. Denn dort tummeln sich tausende Hobbykritiker und geben ihre Reiseerfahrungen und Insider-Tipps weiter. „Dadurch verändern sich touristische Attraktionspunkte“, erklärt der Fachmann, der sich unter anderem an der Universität Eichstätt-Ingolstadt mit dem Verhältnis von Internet und Tourismus beschäftigt.

Die Plätze abseits der klassischen Sehenswürdigkeiten rückten durch das Netz immer mehr ins Blickfeld der Besucher. Es gebe keine „hoheitliche“ Instanz mehr, die über die „Must-Sees“ entscheidet - so wie es früher gedruckte Reiseführer und Touristeninformationen taten. Der Drang nach individuellen Reisen sei zwar schon immer vorhanden gewesen, erklärt Bauhuber. Doch nun habe jedermann die technischen Möglichkeiten, die eigene Abenteuerlust auszuleben.

Klassische Wahrzeichen werden im Internet weiterhin beachtet. Wer etwa auf Reiseseiten nach Tipps für „Köln“ sucht, dem wird als Sehenswürdigkeit zuerst der Dom vorgeschlagen. Für Barcelona steht die weltbekannte Kathedrale Sagrada Família ganz oben. So weit, so erwartbar. Die Hinweise beschränken sich aber nicht auf diese Ziele.

So führt die Online-Community Yelp, die kürzlich die Plattform Qype übernommen hat und die Angebote zusammenlegt, unter anderem den Berliner „Teufelsberg“ auf. Dort befindet sich eine verlassene Radaranlage der Amerikaner, die öffentlich eigentlich nicht zugänglich ist. Bei Yelp und anderen Portalen geben Nutzer Tipps, wie man trotzdem reinkommt: „Das Gelände ist eingezäunt, aber eigentlich ist immer irgendwo ein Loch im Zaun, durch das man sich auf die Anlage stehlen kann.“ In einem klassischen Reiseführer wäre das wohl kaum vorstellbar.

Bewertungsportale hätten in den letzten Jahren enorm zugelegt, sagt Bernd Skiera, Professor für eCommerce an der Universität Frankfurt. Jeder Internetnutzer kann sich die Kritiken anschauen, die andere Privatleute über Restaurants, Bars oder Sehenswürdigkeiten geschrieben haben. „Die Auswahlentscheidung wird extrem beeinflusst“, sagt Skiera. Reiseseiten verstärkten den Trend zu Verbraucher-Empfehlungen im Netz.

Die Seiten gibt es zwar seit mehr als 10 Jahren, wirklich populär aber wurden sie erst in Verbindung mit Smartphones und Tablets. Damit können Nutzer unterwegs nach Zielen Ausschau halten. Wegen ihrer Marktmacht stehen Bewertungen immer wieder im Verdacht, von Beteiligten gefälscht zu sein. Yelp setze Software ein, um Kommentare herauszufiltern, die nicht echt erscheinen, schrieb das Unternehmen erst kürzlich auf dem Firmenblog.

Besucher, die nicht vor Museen Schlange stehen und stattdessen unerwartete Ecken einer Stadt kennenlernen wollen, bekommen also digital Insidertipps von Einheimischen. Was aber, wenn nun alle in das besondere Restaurant in Münchens Szeneviertel Glockenbach wollen?

Qype-Gründer Stephan Uhrenbacher nennt das die „Mainstream-Falle“. Alle wollten zusammen individuell sein und würden gerade deswegen einen digitalen Einheitsbrei schaffen, sagt Uhrenbacher, der inzwischen die Wohnungsvermietungs-Seite 9flats leitet. Dies sei „das Grundproblem bei allen Bewertungsportalen im Internet“.

In Deutschland steht diese Entwicklung noch am Anfang, sagt der Eichstätter Forscher Bauhuber. Kostenfreie WLAN-Netze, die vor allem für Besucher aus dem Ausland wichtig sind, gebe es in deutschen Städten selten. In London stellen beispielsweise Flughafenbusse oder Museen kostenloses Internet bereit. Deutsche Geschäfte fordern ihre Kunden auch nur vereinzelt auf, Kritiken zu schreiben - anders als in den USA. „Da sind wir in Deutschland noch sehr jungfräulich“, sagt Bauhuber. Er erzählt von einem Urlaub in Irland. Dort war er nur mit dem Smartphone unterwegs - ohne Karte, ohne Reiseführer und, wie er sagt, ohne Probleme.

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