Ende einer Sehenswürdigkeit Tokios legendärer Fischmarkt Tsukiji soll umziehen
Tokio (dpa/tmn) - Manchmal verspürt Shibata San einen Anflug von Wehmut, wenn er sich seinen Weg durch das Gewusel des Tsukiji-Marktes bahnt. Nach mehr als 80 Jahren soll der wohl größte Fischmarkt der Welt von Chuo in den Nachbarbezirk Koto verlegt werden.
In einer Metropole wie Tokio ist das nur einen Steinwurf entfernt. Dennoch geht für Fischhändler Shibata eine Ära zu Ende. „Das Flair auf dem Tsukiji ist einzigartig“, sagt Massimiliano Ziano. Der Italiener ist Küchenchef im „Hotel Peninsula“ und einer von Shibatas Stammkunden. Japaner seien beim Essen geradezu besessen von der Qualität ihrer Zutaten. Das spüre man auf dem Tsukiji auf Schritt und Tritt. Immer wieder mal begleitet Ziano Hotelgäste gemeinsam mit dem Fischhändler zu den berühmten Thunfisch-Auktionen.
1000 Euro für einen einzigen Fisch sind dort normal, aber noch nichts im Vergleich zum Preis für den ersten Thunfisch des neuen Jahres. Der soll Glück bringen, Aufmerksamkeit beschert er seinem Käufer auf jeden Fall: 2013 hatte der Chef der Restaurantkette „Sushizanmai“ fast 1,4 Millionen Euro gezahlt. Weil landesweit darüber berichtet wird, lohnt sich das Investment.
Die Neujahrs-Auktion 2017 war wahrscheinlich die letzte am alten Platz. Eigentlich hätte der Markt, dessen Geschichte bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, schon Ende 2016 umziehen sollen, um Platz zu machen für das Pressezentrum der Olympischen Spiele 2020. Tokios Gouverneurin Yuriko Koike aber stoppte das Milliarden-Projekt. Nicht aus nostalgischen Gründen, sondern weil der Boden des Ausweichareals vergiftet ist. Dennoch entschied Koike jetzt, den Markt zu verlegen. Einen genauen Zeitplan gibt es jedoch noch nicht. Auf dem Gelände des Tsukiji soll ein Themenpark rund ums Essen entstehen.
Dass der Tsukiji-Markt vorerst wegen der Bodenverschmutzung nicht umziehen konnte, klingt wie eine Ironie der Geschichte. Schließlich hatte Tokios früherer Gouverneur Shintaro Ishihara die Verlegung beschlossen, weil ihm der alte Markt zu schmuddelig war. Tatsächlich hat der Tsukiji wenig gemein mit prächtigen Marktgebäuden in Mittelmeerländern. Die sich über eine Fläche von mehr als 40 Fußballfeldern erstreckenden Hallen sind in die Jahre gekommene Zweckbauten. Kaltes Neon-Licht spiegelt sich in den von Pfützen bedeckten Betonböden. Es riecht nach Fisch und Algen und nach den Abgasen knatternder Dreiräder, mit denen Lagerarbeiter die Ware in atemberaubendem Tempo durch die Gänge transportieren.
Jedes erdenkliche Meeresgetier, das in Restaurants auf Tellern landet - und in Japan landet dort so ziemlich alles - findet sich in einer der Tausenden, mit Eis gefüllten Styropor-Kisten. In einem mit Wasserbecken ausgestatteten Bereich werden zudem lebende Tiere gehandelt. Auf Holzpaletten liegen in der Nachbarhalle gefrorene, bis zu zwei Meter lange Thunfischleiber. Kleine Stücke sind herausgeschnitten.
„Die auf dem Tsukiji zu bestaunenden Produkte sind die Basis für den Erfolg der japanischen Küche“, erklärt Ziano. Diese zeige sich auch in der großen Zahl an Spitzenrestaurants. Der Restaurantführer „Guide Michelin“ zeichnete 2017 allein in den drei japanischen Metropolen Kyoto, Osaka und Tokio 121 Lokale mit zwei oder drei Sternen aus - das sind mehr als in ganz Frankreich (113). Tokio hat mit zwölf Drei-Sterne-Restaurants mehr höchstdekorierte Gourmet-Tempel als jede andere Stadt der Welt. „Vielleicht auch ein bisschen dank des Tsukiji“, meint Fischhändler Shibata.